Nr. 18 vom 6. Mai 2000

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Der Streit um den geplanten und immer wieder verzögerten Ausstieg aus der Kernenergie betrifft die Landwirtschaft nicht unmittelbar und kann uns dennoch nicht völlig einerlei sein. Ob man für oder gegen die Nutzung der Kernenergie ist, führt zu keinen Meinungsverschiedenheiten im bäuerlichen Berufsstand. Die Gegner der Atomkraft sind um so nachdrücklicher für die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Nutzung erneuerbarer Energien, was den übrigen Bauern ebenfalls recht ist. Und wer als Bauer meint, dass bei einer nochmaligen Verdoppelung der Erdbevölkerung die Sicherung der Energiefrage ebenso zu lösen ist wie die Ernährungsfrage, nämlich durch moderne Technologie, hat sich damit noch nicht automatisch für die Kernenergie ausgesprochen. Für uns ist es also kein besonders ernstes Thema.

Wie eigenartig die Politik mit der Frage der Kernenergie umgeht, wird gerade in diesen Tagen besonders deutlich. Ein Zeitungskommentator schreibt: "Was einmal ein Streitthema ersten Ranges war, ist zu einer Geheimwissenschaft geschrumpft: der Atomausstieg." Der SPD sei es vermutlich peinlich, dass sie sich vor Zeiten bei Rotwein und Lammbraten zu dem Ausstiegsprojekt überreden ließ und wörtlich weiter: "Die SPD ist längst bemüht, die Ausstiegsidee so nachhaltig zu durchlöchern, dass am Ende nichts mehr übrig bleibt." Und von der CDU sagt der Kommentator, es sei nicht klar, ob sie Rot-Grün nur ein wenig ärgern wolle oder ob sie wirklich eine Umkehr zur Kernenergie anpeile. Für die Grünen hat dieselbe Zeitung – nur aus anderer Feder – angesichts der erneut zu erwartenden Demonstrationen überwiegend Häme: "Wie sähe das aus, wenn jene Regierungsmitglieder, die sich einst selbst an Bauzäune in Wackersdorf ketteten, auf Gleichgesinnte einprügeln ließen?"

Halt, da sind wir nun bei einer Frage, die jedermann angeht, auch wenn ihn die wirtschaftliche Zukunft der Kernenergie "cool" lässt. "An Bauzäune gekettet"? Das war noch die harmlosere Variante. Mit Hakenkrallen an Oberleitungen wurde seinerzeit der Zugverkehr bei Ahaus lahmgelegt. Aus der Bahnstrecke Münster-Coesfeld wurde ein 1,8 Meter langes Gleisstück herausgetrennt. Bei Göttingen raste ein ICE über einen Stahlträger, der quer auf die Schienen gelegt worden war. Ein 65 kg schwerer Betonklotz blockierte den Zugverkehr auf der Strecke Hannover-Uelzen. Und noch eine harmlosere Variante: In riesigen Buchstaben war wochenlang in Kiel an exponierter Stelle eine Schrift zu lesen: "Macht blau, fahrt nach Gorleben!"

Der Journalist Thomas Lieven hat unerkannt an einem Seminar dieser Gruppierungen teilgenommen, und was er berichtete, ist mehr als ein Ärgernis. Es macht wirklich Angst, wenn in Deutschland Seminare stattfinden und im Internet dafür geworben wird, und all dies nur, damit Demonstranten lernen wie man z.B. Züge blockiert. Aus Lievens Bericht: "Bevor wir auf die Gleise springen, muss der Zug zum Stehen gebracht werden. Das ist die Aufgabe der Vorstopper. Sie stellen sich vermummt und mit Transparenten so dicht an die Gleise, dass der Lokführer zum Bremsen gezwungen wird. Nicht ungefährlich. Wird man erwischt, droht Gefängnis. Deswegen müssen sich die Vorstopper schnell aus dem Staub machen." Lieven hatte nur an einem Schnupperkurs teilgenommen, danach gibt es noch das Aufbautraining von einer Woche Länge. Der Verfassungsschutz weist auf die enge Verbindung zwischen dieser Szene und bestimmten "Vorbereitungen" für die EXPO 2000 hin. Die Anfang Juni in Hannover beginnende Weltausstellung – so der Verfassungsschutz - rücke zunehmend in das Blickfeld linker Aktionsgruppen. Wir erwarten von bestimmten heutigen Regierungsmitgliedern zumindest ein Eingeständnis nach dem Motto "Zauberlehrling". Augenzwinkern sollten sie sich jedenfalls nicht leisten. Einer von Lievens "neuen Bekannten": "In ein paar Wochen ist EXPO. Da erlebt ihr euer blaues Wunder."