Nr. 33 vom 19. August 2000

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Es gibt in Deutschland unendlich viele Leute, die sich mit Ernährungsrisiken beschäftigen. Da die wirklichen Lebensrisiken – die ständig steigende Lebenserwartung beweist es – permanent abnehmen, suchen die Menschen nach neuen Risiken, echten und eingebildeten. Und die Medien begleiten dies auf ihre Weise, nämlich um Auflagen und Einschaltquoten zu erhöhen. Genau mit diesen Einschaltquoten hat aber eines der echten Risiken zu tun. Göttinger Ernährungsphysiologen haben es jüngst der Öffentlichkeit – wenn auch von den großen Medien weitgehend unbeachtet und damit doch wieder quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit – präsentiert. Zwischen der Höhe des Fernsehkonsums und dem Ausmaß von Übergewicht bei Kindern besteht eine eindeutige Beziehung. Auf dreifache Weise fördert Fernsehen Übergewicht, so der Göttinger Forscher Dr. Ellrott: Erstens verbrauchen Kinder beim Fernsehen weniger Energie als bei fast allen möglichen Verhaltensalternativen. Zweitens, so Ellrott, seien Fernsehen und Essen gedanklich miteinander verknüpft, allein die Situation "vor dem Fernseher zu sitzen" rufe das Bedürfnis zu essen hervor. Und drittens werde dieses Bedürfnis durch Fernsehwerbung verstärkt.

In Gießen hat man dieses dritte Phänomen näher untersucht. Denn es liegt schließlich die Vermutung nahe, dass die Fernsehwerbung nicht irgendwie gemacht wird sondern auf die spezielle Situation des fernsehenden Menschen zugeschnitten, professionell sozusagen. Von 251 untersuchten Werbespots, die an einem Tag bei RTL liefen, so fanden Gießener Ernährungsphysiologen heraus, bewarben 133 Lebensmittel. Und in nur 19 dieser Fälle ging es um nicht süße Nahrungsmittel. Es wird also speziell auf die beim Fernsehen typische Neigung zum Naschen abgezielt. Leider war der von der AID verbreiteten Veröffentlichung nicht zu entnehmen, wieweit es bei den 19 nicht süßen Produkten ebenfalls um Naschartikel ging, aber das müssen wir auch gar nicht mehr wissen, das Bild ist auch so eindeutig. Eine amerikanische Forschergruppe fand heraus, dass der sogenannte Body-Mass-Index schon bei einer Verringerung der wöchentlichen Fernsehzeit von 23 auf 13 Stunden deutlich zurückging. Man kennt also nicht nur das Problem, sondern auch quantitativ die Aussichten, das Problem in den Griff zu bekommen, ohne der illusionären Forderung der Abschaffung des Fernsehens nachzuhängen.

Bleibt die Frage, warum die Medien sich dieser wirklich existierenden Problematik so wenig annehmen. Sollte es so sein, dass die Medien ihre Konsumenten zwar gerne erschrecken, sie aber nicht wirklich ärgern wollen? Denn die hier beschriebenen Probleme sind von einer ganz bestimmten Qualität. Wenn man bei solchen Dingen überhaupt von Schuld sprechen kann, sitzen hier die Schuldigen mit "in der ersten Reihe". Fast alle Medien-Konsumenten sitzen dort, so dass die alte Masche nicht läuft, nach der der Konsument zwar erschreckt wird, schuldig aber jemand anders ist, z.B. der Bauer, die Industrie etc.. Und dann kommt noch ein Umstand hinzu: Es wäre naiv, von den Fernsehanstalten zu erwarten, dass sie ihre Kunden auffordern könnten, weniger zu konsumieren, sprich weniger fernzusehen.

Nun müssen wir uns natürlich auch selbst daraufhin überprüfen, ob wir ähnlich opportunistisch zum Schaden der Menschen denken wie die Fernsehmacher. Nein, als Landwirte wollen wir, dass unsere Konsumenten gesund sind. Wir haben nicht viel davon, wenn sie durch das Fernsehen mehr essen und dadurch krank werden. Der Umsatzzuwachs wäre allenfalls kurzfristig. Uns ist eher damit gedient, wenn die Menschen sich viel bewegen und deswegen mehr essen. Das nämlich hält sie gesund. Das zuckerhaltige Getränk nach intensivem Sport ist uns lieber als die Bonbons beim Fernsehen und die kräftige vielseitige Mahlzeit nach körperlicher Anstrengung – von der würzigen Suppe über Fleisch mit diversen Beilagen bis zur süßen und/oder obstigen Nachspeise – ist uns lieber als das ewige Naschen.