Nr. 36 vom 09. September 2000

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

In Deutschland wollen die Politiker aus der Kernenergie aussteigen, aber erst in einigen Jahrzehnten. Nach gegenwärtiger Beschlusslage sollen die letzten KKWs in Deutschland in 32 Jahren vom Netz gehen, theoretisch denkbar ist sogar eine längere Laufzeit. Uns als Landwirtschaft kann der Ausstieg grundsätzlich nur recht sein, denn um so attraktiver wird die energetische Nutzung der Biomasse und der Windenergie. Wenn die Unterschiede bei der Verbrennungstechnik nicht wären, müsste bei einem Heizölpreis von 0,60 DM/l schon heute der Mindestpreis für Getreide bei 24 DM/dt liegen, denn 2,5 kg Weizen haben den Brennwert von einem Liter Heizöl. Die Frage ist nur, ob die Ablehnung der Kernenergie auf Dauer Bestand haben kann, und da sollten wir mit unseren Zukunftsträumen vorsichtig sein. Die meisten Menschen begreifen bei der Diskussion um die Kernenergie nämlich so einiges nicht. Sie fragen sich z.B. wieso einerseits eine Technik so gefährlich sein soll, dass man sie abschaffen muss, und andererseits noch 20 bis über 30 Jahre damit umgegangen werden soll, und das unter Beteiligung der auf diesem Feld doch bisher so sensiblen Berliner Grünen. Ist die Sicherheit der kommenden Generationen wichtiger als die der unsrigen?

Wenn man es wirklich verantworten kann, die energetische Nutzung der Kernenergie noch über zwanzig Jahre lang zu betreiben, kann das Sicherheitsrisiko so sehr groß nicht sein. Da hätte man diese Zeit doch auch nutzen können, die Sache noch sicherer zu machen, so dass zunächst vielleicht auch fünf Jahre mehr zu verantworten wären. In den so gewonnenen 5 oder gar 10 Jahren könnte man dann so viel Sicherheit schaffen, dass die Frist wieder verlängert werden kann. Am Ende würde sich möglicherweise der Ausstieg als nicht mehr notwendig erweisen. Auf den Gedanken ist anscheinend noch niemand gekommen. Vielleicht liegt der Verzicht auf eine solche doch so nahe liegende Überlegung aber auch daran, dass man bestimmten Wählern mit solchen Gedanken nicht kommen darf, auch wenn man sie selbst schon als richtig erkannt hat. Ebenso wenig ist logisch denkenden Menschen klar zu machen, dass in Deutschland diese Technologie zwar unstrittig sicherer ist als anderswo, umgekehrt in anderen Ländern mit weniger sicherer Technologie aber nicht ausgestiegen wird, sondern mehr Kernkraftwerke gebaut werden. In der Ukraine z.B. sind vier neue KKWs im Bau. Aber gehen wir gar nicht so weit. Ziemlich genau auf halber Luftlinienstrecke zwischen München und Dresden wird demnächst ein KKW neu in Betrieb genommen, nur eben nicht in Deutschland, sondern in Temelin im westlichen Tschechien. Gut 500 km ostwärts davon, in der Slowakei, entstehen zwei weitere neue Werke.

Sie meinen, die deutsche Energiewirtschaft habe damit nichts zu tun? Der Direktor der Bayernwerke, Dieter Brosche, wird hierzu im SPIEGEL zitiert: Für ihn stehe die Kernkraft vor einer Renaissance, so soll er gesagt haben. Und weiter: für ihn liege nach dem Ausstiegsbeschluss der Regierung Schröder die Zukunft der Atomwirtschaft jenseits der Grenzen. Man suche sich bis 2020 im Ausland Partner für neue Nuklearprojekte, das "kann uns die Regierung nicht verbieten". In der Presse wird derweil darüber spekuliert, weshalb in Temelin trotz anscheinend noch offener Sicherheitsfragen in diesen Tagen mit dem Betrieb begonnen wird. Viele gehen davon aus, dass der Zeitdruck von deutschen Billigstromanbietern ausgeht. Minister Trittin hat das Werk in Temelin als "Projekt von vorgestern" bezeichnet. Solche Äußerungen wären glaubwürdiger, wenn es entweder für ihn in Deutschland auch Projekte von morgen gäbe oder der Atomstrom aus Tschechien in Deutschland nicht eingesetzt werden dürfte. Wenn wir Strom von unsicheren KKWs benutzen, weil sicherere in Deutschland nicht gebaut werden dürfen, versteht das keiner mehr. Auch Österreich hat trotz völligen Ausstiegs nicht verhindert, dass Wien unter den Hauptstädten der Welt zu denjenigen mit den meisten KKWs in ihrer Nähe gehört.