Nr. 37 vom 16. September 2000

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Schon der Polarforscher Fridtjof Nansen kannte das Phänomen. Er machte es sich sogar zu Nutzen. Im Jahre 1893 ließ er sich mit seinem Segelschiff "Fram" im Nordmeer vor Sibirien einfrieren und mit der Eisdrift bis Spitzbergen treiben, wo das Schiff zweieinhalb Jahre später wegen der dort stattfindenden Eisschmelze wieder freigegeben wurde. Nansen hatte ohne Segel oder sonstige Hilfsmittel eine riesige Strecke zurückgelegt. Erste Erkenntnis also: Das Eis in der nördlichen Arktis ruht nicht wie der feste Eispanzer der Antarktis auf festem Grund, es ist vielmehr in ständiger Bewegung. Die sogenannte Ost-West-Drift, angetrieben durch die Rotation der Erde, war Nansens Fortbewegungsmittel. Und nun kommt die zweite Erkenntnis, die auch Nansen nicht nur erfuhr, sondern die ihn zudem ärgerte. Die Arktisdrift läuft nicht ununterbrochen in dieselbe Richtung. Bei sehr starkem Gegenwind stehen Teile des treibenden Panzers auch gelegentlich still oder bewegen sich sogar rückwärts. Dadurch entstehen dann eisfreie Flächen.

Wer nicht so gerne in alten Reiseberichten liest, konnte sich in den zurückliegenden Jahren dennoch immer wieder in der Tagespresse über die Ost-West-Drift und die eisfreien Zonen am Nordpol informieren. Im Sommer 1996 z.B. gingen Äußerungen des Bremerhavener Polarforschers Johannes Freitag durch die Presse. Er fuhr auf dem schwedischen Eisbrecher "Oden" Richtung Nordpol und konnte von "besonders großen Rinnen im Eis" berichten, und dies aus einer Gegend um den 90. Breitengrad, also praktisch vom Nordpol selbst. Freitag beschrieb das Phänomen so: "Zerrt der Wind in die eine Richtung und die Strömung in die andere, bricht das Eis auseinander."

Vor dem Hintergrund der vielfältigen Informationsmöglichkeiten über die Ost-West-Drift und ihre Begleiterscheinungen, mutet das, was sich vor einigen Wochen in den Medien zum Thema Nordpol abspielte, recht eigenartig an. Der atomgetriebene russische Eisbrecher "Jamal" erreichte mit 100 Touristen an Bord am 11. August 2000 exakt um 9.02 Uhr den Nordpol. 30000,- DM hatten die Touristen bezahlt und bekamen dafür jetzt die "Erfahrung ihres Lebens" geboten, blaues Wasser bis zum Horizont. Die Titelseiten der Weltpresse füllten anschließend Überschriften wie "Nordpol weg?" Ein an Bord befindlicher ausgewachsener Harvard-Professor meldete die Hiobsbotschaft von der angeblich geschmolzenen Polkappe nach Hause: "Für uns war die globale Klimaerwärmung plötzlich ganz konkret." Als Ozeanograph hätte er das Nansen-Phänomen eigentlich kennen müssen und mit der Erklärung dessen, was er gerade gesehen hatte, vorsichtiger verfahren müssen. Das Gleiche gilt für den Hamburger Klimatologen Mojib Latif. Wenn er sagte, es müsse "möglichst schnell etwas gegen den Treibhauseffekt getan" werden, hatte er zwar wahrscheinlich Recht; die Meldung vom Nordpol dafür zum Anlass zu nehmen, war aber leichtsinnig. Auch er hätte es besser wissen müssen.

In den Medien hieß es an vielen Stellen etwa gleich lautend, seit 50 Mio. Jahren sei keine Pfütze mehr am oberen Ende der Erde anzutreffen gewesen. Das waren teilweise dieselben Blätter, die vier Jahre vorher über die Beobachtungen von Johannes Freitag berichtet hatten. Um die Welt ging auch ein Foto des Harvard-Professors, auf dem - umrahmt von Eisflächen - tatsächlich jede Menge offenes Wasser zu sehen war. Wie viel der Mann wohl für das Bild und für seine Äußerungen kassiert hat? Immerhin ging einige Tage nach der "Sensationsmeldung" auch der wahre Hintergrund durch die Presse. An der Tatsache der Erwärmung der Erdatmosphäre gibt es gleichwohl kaum Zweifel. Die Menschen aber wissen nicht mehr, was sie noch glauben können. Wenn es in einem Dorf zehn mal an einem Tag blinden Feueralarm gibt, geht beim elften Mal keiner hin, auch wenn es dann ernst ist.