Nr. 43 vom 28. Oktober 2000

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Der Vorsitzende des Agrarausschusses des Europa-Parlaments Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, so teilt der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V. (BDP) mit, hat sich mit einer Gruppe von Landwirten gewaltsam Zutritt in das Gebäude des BDP in Bonn verschafft. Die Gruppe habe das Haus "gestürmt", so heißt es in einer Presseerklärung des BDP. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BDP seien "physisch und psychisch" bedroht worden, 1 ½ Stunden habe die "Besetzung" des Gebäudes gedauert. Das war mehr als eine gewaltfreie Demonstration.

Den Besetzern ging es um die Verpflichtung, beim Nachbau von Saatgut geschützter Sorten Gebühren zahlen zu müssen bzw. um die damit verbundenen Auskunftspflichten. Dies hat es bis vor zwei Jahren nicht gegeben und wurde vom Gesetzgeber neu eingeführt. Eigentlich hätte der Parlamentarier Graefe also beim Gesetzgeber demonstrieren müssen; soweit es um das europäische Recht geht, somit bei seinen eigenen Instanzen. Schon insoweit ist die Sache reichlich eigenartig. Soweit es nur um die Auskunftspflichten gehen, gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen BDP und vielen Landwirten. Dabei geht es aber um unterschiedliche Auslegungen des Gesetzes, wofür in einem Rechtsstaat letztlich die Gerichte zuständig sind. Gewaltsame Hausbesetzungen und Bedrohung von Mitarbeitern des BDP sind da mit Sicherheit nicht das richtige Mittel und schon gar nicht für einen Parlamentarier.

Es kommen noch einige Auffälligkeiten hinzu: Wie der BDP mitteilt, sind Graefe und seine Freunde gezielt zu der EDV-Zentrale der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (STV) vorgedrungen. Tags zuvor hatte ein Fernsehteam des ZDF Dreharbeiten im Hause gemacht und ausdrücklich gebeten, die EDV- Arbeitsplätze filmen zu dürfen. Während der Erstürmung des Hauses war dann wieder das Fernsehteam von "Kennzeichen D" zugegen. Der BDP hat angekündigt, dass er sich wegen dieser eigenartigen Zusammenhänge an den Intendanten des ZDF wenden und eventuell auch rechtliche Schritte einleiten will. Und der BDP prüft noch, inwieweit Daten entwendet oder Datensätze beschädigt wurden.

Um Missverständnissen vorzubeugen, die Nachbauregelung ist nicht ohne Fehl und Tadel und bei der Umsetzung ist auch nicht alles in bester Ordnung. In einer ganzen Reihe von Fällen hat die STV das nötige Fingerspitzengefühl vermissen lassen und entsprechend harte Kritik vom Bauernverband zu hören bekommen. Und wegen der Frage, wie hoch die Nachbaugebühr bei den Landwirten ist, die sich bei der Wahl zwischen dem Kooperationsabkommen zwischen DBV und BDP einerseits und der gesetzlichen Regelung andererseits für letztere entscheiden, gibt es auch Prozesse – mit Unterstützung der Bauern durch den Bauernverband. Aber deswegen besetzt man doch keine Häuser! Und deswegen bedroht man auch keine Menschen seelisch und körperlich!

Bekanntlich hat jeder Landwirt die freie Wahl, ob er sich dem vom Bauernverband ausgehandelten Abkommen unterwirft oder eben dies gerade nicht tut. Über das Abkommen, das die meisten Landwirte besser stellt als die Landwirte in Ländern, in denen es solche Abkommen nicht gibt, hat es von Anfang an Diskussionen gegeben. Es stellt eben nicht alle besser. Aber darüber kann sich im Prinzip keiner beschweren, denn er muss es ja nicht für seinen Fall gelten lassen. Das Abkommen ist wegen einiger Mängel – nobody is perfect – auch schon in mehreren Punkten verändert worden. Eine Schwachstelle ist erst jüngst bekannt geworden. Bei bestimmten Frühkartoffelsorten gibt es den Rabatt für Landwirte mit mehr als 80% Saatgutwechsel nicht, weil man davon ausging, dass es bei diesen Sorten in der Praxis keinen Nachbau gibt. Nachdem sich diese Annahme als unzutreffend erwiesen hat, wird man auch den Fall wohl neu verhandeln müssen.