Nr. 40 vom 6. Oktober 2001

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor: Dr. Hans Peter Stamp

Logisch ?

Beginnend im Jahre 1865 hatte Gregor Mendel seine Mendelschen Gesetze, die Grundlage aller heutigen genetischen Forschungen entwickelt. Nach ihm waren sie mehrere Jahrzehnte verschollen. Wären sie nicht wiederentdeckt worden, wüssten wir heute nichts von ihnen. Als Wiederentdecker kommen am Anfang des 20. Jahrhunderts drei Wissenschaftler unabhängig voneinander in Betracht. Einer von ihnen, Hugo de Vries, machte noch eine andere bedeutende Entdeckung, wenn auch nur auf Grund theoretischer Überlegungen. Er dachte an die Möglichkeit, Mutationen bei Kulturpflanzen künstlich auszulösen. Erst im Jahre 1927 gelang dem späteren Nobelpreisträger Hermann Joseph Muller hierfür der experimentelle Beweis, und zwar an der Fruchtfliege.

Bald danach fand diese Methode Eingang in die Pflanzenzüchtung. Man war bei den Kulturarten nicht mehr auf den Genbestand der Wildform angewiesen. Neue Gene, die es bei der betreffenden Pflanzenart bis dahin nicht gegeben hatte, kamen hinzu und eröffneten züchterischen Fortschritt, der vorher nicht möglich gewesen war. Am augenfälligsten ist es bei den verschiedensten Kohlpflanzen, aber auch bei Blumen. Die heute bekannten vielen Erscheinungsformen hätten sich aus dem Genbestand der Wildformen nicht züchten lassen. Das Gleiche gilt aber für alle heutigen Kulturpflanzen. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht unendlich viele Gene zu uns nehmen, die es bei den Wildformen unserer Kulturpflanzen noch nicht gegeben hatte. Dabei ist es völlig bedeutungslos, ob es sich um Produkte des konventionellen oder des ökologischen Landbaus handelt.

Die Mutationszüchtung wurde zu einer der tragenden Säulen des rasanten Fortschritts in der Landwirtschaft. Wie löst man künstlich Mutationen aus, und was passiert dabei? Tendenziell sind Mutationen Verletzungen der Erbsubstanz, die durch Chemikalien oder durch Strahlen ausgelöst werden. Die meisten dieser Verletzungen sind für die Pflanzen schädlich und müssen durch die spätere Selektion der unbeschadeten Individuen wieder ausgemerzt werden. Dabei ist die Zahl der wenigen günstigen Mutationen im Vergleich zu den auszumerzenden verschwindend klein. Aufgabe der Zuchtarbeit ist es, diese wenigen günstigen Gene durch Selektion zu sichern. Die Mutationszüchtung besteht also aus zwei Abschnitten, der Schaffung von genetischer Varianz durch Chemikalien und Strahlen und danach der züchterischen Bearbeitung der vergrößerten Varianz.

Vor diesem Hintergrund ist die Gentechnologie nichts grundsätzlich Neues. Auch hier gibt es dieselben zwei Phasen. Es gibt nur einen wirklichen Unterschied, und der wurde jüngst in der "Neuen Zürcher Zeitung" so formuliert: "Während der Züchter bei der Mutationszüchtung mit der Schrotflinte blindlings auf das Genom schießt und dabei hofft, eine sinnvolle Mutation auszulösen, kann er mit der Gentechnik sehr viel feiner operieren. Das hat gewaltige Vorteile." Ein Vorteil besteht darin, dass man all die schädigenden Mutationen umgeht, ein anderer darin, dass das neue Gen nicht mehr blindlings entstanden und damit in seinen Wirkungen völlig unbekannt ist. Bei der Gentechnik ist immerhin die Wirkungsweise bei der Herkunftspflanze bekannt. Gewisse Risiken sind damit gleichwohl verbunden, sie sind nur eben geringer als bei der herkömmlichen Mutationszüchtung. Und hinzu kommt, dass die Sicherheitstests umfangreicher sind, doppelte Sicherheitsverbesserung also. Es wird Zeit, dass dies nicht nur in der Schweiz in das öffentliche Bewusstsein gelangt. Die Schweizer sind da weiter, allerdings mit einer geradezu kuriosen Variante. Da die bisher angewendete Mutationszüchtung unbestreitbar weniger sicher ist als die Gentechnik, sind einige "konsequent" und fordern für den Ökolandbau in der Schweiz die Abschaffung der Mutationszüchtung, womit wir dann züchterisch auf dem Stand von 1927 wären.