Nr.45 vom 10. November 2001

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor: Dr. Hans Peter Stamp

Logisch ?

Das Wort "Sterben" beschreibt bei Mensch, Tier und Pflanze die letzte Lebensphase unmittelbar vor dem Tod. Nun unterliegen Begriffe dem Wandel, Sprache ist etwas Lebendiges und entwickelt sich immer weiter. Und für einen bestimmten Teilaspekt hatte auch die Bedeutung des Begriffes "Sterben" einen grundlegenden Wandel erfahren. Das so genannte "Waldsterben" dauert nun schon etliche Jahrzehnte und ist deshalb mit der eben zitierten Definition nicht recht in Einklang zu bringen. Im Gegenteil, unsere Wälder in Deutschland haben Jahr für Jahr an Biomasse zugelegt und grün – bei Pflanzen ein untrügliches Zeichen von Leben – sind sie auch immer noch. Das Wort vom Waldsterben entwickelte aber zunächst eine solche Eigendynamik, dass es als "le Waldsterben" sogar Teil der französischen Sprache wurde. Wer dramatisieren will, braucht kräftige Begriffe, muss übertreiben. So hat die Sache einmal angefangen. Goethe muss es geahnt haben, als er formulierte: "Ich ging im Walde so für mich hin; und nichts zu suchen, das war mein Sinn." Nach dem Motto: ja nicht nachdenken.

Irgendwann gab es dann auch hier eine Wende. Das Waldsterben verschwand langsam wieder aus dem Sprachgebrauch und machte dem spröden Begriff "neuartige Waldschäden" Platz. Unter diesem Stichwort wurden die überraschendsten Erkenntnisse verlautbart. Einige Verfasser von Waldschadensberichten erkannten sogar, dass ältere Bäume stärker geschädigt sind als jüngere, eine Erkenntnis, deren Grundlagen die Autoren auch in den Wartezimmern der Ärzte hätten gewinnen können. Es scheint Leute zu geben, die es für möglich halten, dass eine größere Zahl von Menschen, Tieren oder Pflanzen ohne jedes Zeichen von Krankheit sein kann. Nicht alle gesundheitlichen Schäden bei Bäumen gehören zu den so genannten "neuartigen". Und letzteren scheint es jetzt ohnehin an den Kragen zu gehen, zumindest in Süddeutschland und der Schweiz.

Wenn es stimmt, was jüngst in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen war, hat es in den zurückliegenden Jahrzehnten – um nun auch noch Shakespeare zu zitieren – viel Lärm um nichts (oder wenig...) gegeben. "Ende einer Fiktion, Luftschadstoffe führen nicht zu Schäden im Bergwald", unter dieser Überschrift berichtet das Blatt über neuere Erkenntnisse aus einer bayerischen Studie. Und den letzten Absatz des Artikels sollten wir uns wörtlich ansehen: "Der Auftraggeber der Studie, das Bayerische Umweltministerium, hat bisher die Medien nicht auf die Resultate aufmerksam gemacht. Warum das Ministerium in einer umweltpolitischen Frage, die wie kaum eine andere die Öffentlichkeit bewegt hat, so publikumsscheu ist, bleibt ein Rätsel. Auf Nachfrage erhält man die wenig überzeugende Antwort, angesichts der Informationsfülle müsse eben eine Auswahl getroffen werden. Sollte es so sein, dass das Ministerium es nicht wagt, sich ,politisch unkorrekt‘ zu verhalten und die ,neuartigen Waldschäden‘ als das zu bezeichnen, was sie sind, nämlich eine Fiktion?"

Die Diskussion um die Studie, in der u.a. Unterschiede bei den Baumschäden in Abhängigkeit von Boden, Klima, Höhenlage und Niederschlagsmengen herausgearbeitet sein sollen, kann spannend werden, wenn sie denn irgendwann doch in die Öffentlichkeit gelangt. Eine große Rolle, so die Wiedergabe in dem Zeitungsartikel, scheint auch das Alter der Bäume zu spielen. Und dabei werden die Schäden als durchaus natürlich hingestellt. Bei Bäumen kann man nicht das Fieber messen oder Urin auf Zucker untersuchen. Wichtigstes Symptom bei Bäumen ist schüttere Benadelung, und die kann bei älteren Bäumen ganz natürliche Ursachen haben. In dem Artikel wird die Sache so dargestellt, dass der Baum, wenn er – einige Jahre vor seinem natürlichen Abgang – das Wachstum einstellt, weniger Nadeln benötigt.