Logisch?

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg Nr. 5 vom 1. Februar 2003

Autor: Dr. Hans Peter Stamp

Schaut man auf die Homepage des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie liest man über den Nord-Ost-Atlantik und die Nordsee etwas von "bedrohlichen Zuständen". Es würden noch zu viele stickstoffhaltige Nährstoffe eingetragen, womit "Eutrophierung in vielen Gegenden" weiterhin ein Problem sei. Einträge und Konzentrationen von phosphorhaltigen Nährstoffen seien aber deutlich gesunken mit teilweise positiven Auswirkungen auf den Eutrophierungszustand im Küstenbereich. Ganz offensichtlich werden hier Fakten für den Atlantik und für die Nordsee durcheinander geworfen, denn über den Atlantik lesen wir in britischen Veröffentlichungen etwas völlig anderes. "Unsere Speisefische hungern", unter dieser Überschrift wurde jüngst in Zeitungen über Untersuchungen britischer Meeresforscher berichtet, und danach wird für die Fische im Atlantik die Nahrung knapp. Die Briten haben zusammen mit den Norwegern auf den Nordsee-Konferenzen immer wieder verkündigt, die Nordsee als Ganzes sei nicht eutrophiert. Es möge da in der deutschen Bucht die eine oder andere Messung mit entsprechenden Ergebnissen vorliegen, aber ein Problem der Nordsee als Ganzes gebe es gar nicht. Und im Atlantik, wie gesagt, scheint sogar das Gegenteil zu Fall sein.

Die Briten geben für die Knappheit an Speisefischen im Nordatlantik zwar wie andere auch die Überfischung der Weltmeere als einen Grund an. Sie sagen aber auch, dass noch ein weiterer Faktor eine entscheidende Rolle spielt: Die Fische im Nordatlantik leiden Hunger, weil ihre Nahrung langsam aber sicher verschwindet. Unter jedem Quadratmeter Nordatlantikwasser leben angeblich in guten Zeiten bis 100.000 Krebse der Art Calanus finmarchicus. Er gehört zur Hauptnahrung von Heringen, Kabeljau, Makrelen und anderen begehrten Speisefischen. Der Krebs ist auf mikroskopisch kleine Algen als Nahrung angewiesen. Algenblüten sind für ihn von Vorteil. Sein Lebenszyklus ist deshalb so eingerichtet, dass er im Frühjahr mit der Vermehrung beginnt, kurz bevor die jährlich auftretenden Algenblüten zu erwarten sind.

Bleibt aber das Futterangebot aus, weil auch die Algen sich nicht wie geplant vermehren, dann bricht das ganze System zusammen. Nicht nur die Krebspopulation bleibt klein, sondern auch die Fische beschränken ihre Fortpflanzung ein, weil sie nichts mehr zu Fressen finden. Dies ist offensichtlich nicht nur ein einzelner Befund. Satellitengestützte Messungen der NASA bestätigen dieses Szenario: Im Laufe der vergangenen 20 Jahre ist die Menge der Mikroalgen im Nordatlantik um rund 14 % zurückgegangen. Wir erinnern uns noch lebhaft an den Synthesebericht, in dem an einer Stelle das eine über die Eutrophierung berichtet wurde und 100 Seiten weiter das genaue Gegenteil. Aber egal, wer gerade recht hat, eines könnten sie alle in Lehrbüchern nachlesen: Für weite Teile der Weltmeere sprechen die Wissenschaftler von Meereswüsten, weil in ihnen Nährstoffe so knapp sind wie in der Sahara das Wasser. Und noch eines: Es gibt so ungeheuer viel Wasser in den Meeren, dass trotz der stark verbreiteten Knappheit von Nährstoffen die gesamte Menge an Phosphor und Stickstoff gemessen an den Einträgen von Menschenhand riesig ist. Bei Gerlach können wir nachlesen, dass in den Ozeanen sich 920 Mrd. t Stickstoff und 120 Mrd. Phosphor befinden. Mit Flusswasser hingegen werden nur 50 Mio. t Stickstoff und über die Luft noch einmal die gleiche Menge eingetragen und die Hälfte davon wird als natürlich bezeichnet. 50 Mio. von 920 Mrd. sind aber nur 0,0054%. Anders ausgedrückt: In 100 Jahren nimmt der Stickstoffgehalt der Meere durch vom Menschen verursachte Einträge um ein halbes Prozent zu. Gerlach schreibt, dass davon wiederum ein Drittel der Landnutzung ein Drittel den Abwässern und ein Drittel Verbrennungsvorgängen zuzuschreiben ist. Ob es Sinn macht, vor diesem Hintergrund die Landnutzung kritisch zu betrachten, wenn durch sie der Stickstoffgehalt der Meere insgesamt sich in 600 Jahren gerade einmal um ein Prozent erhöht? Hinzu kommt, dass die Nährstoffentnahme durch die moderne Fischerei auch mehr als ein "natürlicher Entzug" ist.