Nr. 42 vom 18. Oktober 2003

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor: Dr. Hans Peter Stamp

Logisch ?

Im Wald kann man normalerweise nicht weit schauen, im Sommer gilt das auch für die Sicht nach oben, im Nadelwald das ganze Jahr. Stellen wir uns einmal ein kreisrundes Waldstück in Größe von gut drei Hektar (pi ist gleich 3,14...) vor. Wer in dessen Mitte steht, ist 100 Meter von den Waldrändern entfernt. Sehen kann er die Ränder in den meisten Waldstücken dieser Art nicht, es sei denn, im unteren Bereich als Lichtschimmer am Horizont. Aber um die Waldränder geht es hier auch nicht, es geht um die Baumkronen. Wenn sich in dem Wald ein Greifvogelnest befindet oder eine größere Bruthöhle, dann wird unser Betrachter sie nur dann zu Gesicht bekommen, wenn er in allernächster Nähe ist, manchmal nur, wenn er sich unmittelbar an dem betreffenden Baum befindet, und manchmal selbst dann nicht.

Nester oder Nisthöhlen von der genannten Art können sich auch in Wäldern am Rande einer Straße oder gar Autobahn in einem Abstand von vielleicht nur 20, 50 oder 80 Metern befinden. Die Benutzer dieser Verkehrswege haben ebenso wenig wie unser eben beschriebener Betrachter eine Chance, die genannten Objekte zu sehen. Nun werden Sie fragen, was sollen solche Überlegungen? Die Frage ist leider von größerer Wichtigkeit, als mancher annimmt. Denn beide, der Autofahrer und der Wanderer, sind verpflichtet, die genannten Objekte wahrzunehmen. Nach dem schleswig-holsteinischen Landesnaturschutzgesetz müssen sie nämlich einen Abstand von 100 Metern zu solchen Objekten bewahren. Die Benutzer der Autobahnen, um die kurioseste der möglichen Varianten anzusprechen, sind in Schleswig-Holstein gesetzlich verpflichtet, einen solchen Abstand zu wahren. Da sie keinen Umweg fahren können, dürfen sie diese Autobahn eben nicht benutzen. Worum geht es? Es geht um § 24 Abs. 1 Nr. 5 des schleswig-holsteinischen Landesnaturschutzgesetzes: "Es ist verboten, .......... Bäume mit Bruthöhlen des Schwarzspechtes oder ähnlich großen Bruthöhlen oder mit Nestern oder Horsten von Schwarzstörchen, Graureihern und Greifvögeln abzuholzen, Brut- und Nistplätze des Kranichs zu beschädigen oder zu zerstören, die genannten Bruthöhlen, Nester, Horste oder Brut- und Nistplätze durch Abholzung der unmittelbaren Umgebung zu gefährden oder einen Umkreis von 100 Metern um die genannten Bäume oder Brut- und Nistplätze in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli zu betreten."

Vielleicht kann unser Autofahrer sich damit herausreden, dass er das Gelände nicht betritt, sondern nur befährt, und in der Zeit vom 1. August bis zum 31. Dezember darf er es ohnehin. Obgleich ein lautes Fahrzeug wohl eher stört, als ein ruhig daherschreitender Wanderer, wird sein Benutzer so vielleicht nicht zum Gesetzesbrecher, solange er das Auto nicht wegen einer Panne verlassen muss. Um in der ersten Jahreshälfte nicht zum Gesetzesbrecher zu werden, müsste aber zumindest jeder Fußgänger in der zweiten Jahreshälfte erkunden, wo sich die genannten Objekte befinden, damit er ihnen in der ersten Jahreshälfte nicht zu nahe kommt. Sie verstehen das alles nicht mehr, zumal der Wanderer natürlich auch bestimmte Wege nicht betreten dürfte? Nein, das ist auch nicht zu verstehen. Dieses ist eine Gesetzgebungskultur, wie sie einst unter Umweltminister Prof. Dr. Berndt Heydemann eingeführt wurde und die von vielen inzwischen für normal gehalten wird. Hoffentlich sind wir bald an dem Punkt angelangt, wo eine Mehrheit feststellt, dass Gesetzestexte und Blödsinn nicht immer zu verschiedenen Kategorien gehören, und dass man bei der Wahl derer, die die Gesetze machen, sorgfältiger auswählen sollte.