Nr. 33 vom 20. 08. 1994
Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg
Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp
Risiken werden heutzutage nicht nach ihrem tatsächlichen Umfang, sondern nach ihrer Popularität gemessen. Als die Naturwissenschaften noch in den Kinderschuhen steckten, z. B. im Mittelalter, mag dies normal gewesen sein. Im Zeitalter höchster Wissenschaftlichkeit ist es nicht zu verstehen.
Dabei sind Risiken im Zusammenhang mit Landwirtschaft oft so populär, dass sie einer geradezu gigantischen Überbewertung unterliegen. Derartige Überbewertungen sind teilweise auch durch den Gesetzgeber erfolgt, so dass die Gerichte zu Entscheidungen gezwungen sind, die sachlich völlig unhaltbar sind.
Im Herbst 1992 hatte das Verwaltungsgericht Darmstadt über eine Grundwasserbelastung bei einem rheinischen Wasserwerk mit Diazetonketogulonsäure zu entscheiden. Dieser Stoff, der damals als Pflanzenschutzmittel unter dem Namen Atrinal im Handel war, wurde in einer Konzentration gefunden, die 800 mal so hoch lag wie der Grenzwert nach der Trinkwasserverordnung. Hier fragt man sich, warum ein Gericht noch damit befasst wurde, zu entscheiden, ob eine derartige Grenzwertüberschreitung sein durfte oder nicht.
Wenn es sich wirklich um Atrinal aus dem Zierpflanzenbau gehandelt hätte, hätte das Gericht nie tätig werden müssen. Eine Katastrophenmeldung hätte die andere gejagt, das Wasserwerk wäre stillgelegt worden und die Bevölkerung wäre in Panik geraten.
Es war aber nicht Atrinal. Es war zwar chemisch derselbe Stoff - eben Diazetonketogulonsäure - aber dieser Stoff stammte hier nicht aus dem Zierpflanzenbau, sondern war bei der Firma Merck in Darmstadt als Abfallprodukt bei der Produktion von Vitamin C entstanden. Über diesen Stoff wäre niemals geredet worden, wenn er nicht auch eine Zulassung nach dem Pflanzenschutzgesetz hätte. Da er aber nicht als Pflanzenschutzmittel in das Grundwasser gelangt war, durfte es dabei bleiben. Denn, so die Gerichtsgutachter zutreffend: Es handelte sich um einen für den Menschen ungefährlichen Stoff.