Nr. 36 vom 10. September 1994

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Risiken werden bei uns nach ihrer Popularität und nicht nach ihrem tatsächlichen Umfang bewertet. So kann es geschehen, dass allein der Begriff "Pflanzenschutzmittel" ohne Rücksicht auf sachliche Aspekte panikartige Risikobetrachtungen hervorruft. So konnte es in Deutschland geschehen, dass derselbe Stoff mit 8000 Nanogramm pro Kilogramm im Trinkwasser verbleiben durfte, als er nicht aus der Landwirtschaft stammte. Mit 100 Nanogramm pro Kilogramm jedoch führt er zur Unbrauchbarkeit des Wassers, wenn er als Pflanzenschutzmittel hineingelangt.

So dreht sich in den letzten Jahren eine Spirale von irrationalem Denken, bei dem es immer mehr Messen mit zweierlei Maß gab, je nachdem, ob es um die Landwirtschaft oder andere Bereiche ging.

So sind auch seit langem Warnungen vor Klärschlamm stärker durch die Kenntnis über die von den Medien erzeugte Nervosität der Verbraucherschaft als von konkret greifbaren Risiken getragen. Der Staat trug munter zu dem sich daraus entwickelnden Zerrbild bei. In die konventionelle Landwirtschaft versuchte er den Klärschlamm hineinzudrücken, bei der Förderung des ökologischen Landbaus verbot er die Verwendung von Klärschlamm. Schließlich

kannte sich niemand mehr aus, und jetzt haben wir Vertragsklauseln großer Mühlenbetriebe, die unter dem Druck der Verbraucher sich weigern, Brotgetreide aufzunehmen, wenn es auf Feldern geerntet wurde, auf denen Klärschlamm aufgebracht war, oder in deren unmittelbarer Nähe sich Deponien von zum Beispiel Hafenschlick befinden. Wenn es dabei bleibt, wird es in Kürze überhaupt keine Verwendung von Klärschlamm im Landbau mehr geben und auch keine oberirdischen Deponien. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass diejenigen sich einer objektiven Bewertung von Risiken zuwenden, die bisher meinten, sich dem unter dem Druck von Medien, Verbrauchern und Wählern versagen zu müssen.