Nr. 22 vom 03. Juni 1995

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Der Lieblingsbrotaufstrich vieler Menschen ist eine dicke Schicht Butter mit etwas Salz, und wer erinnert sich nicht an die leckeren Pellkartoffeln mit etwas Butter. Auf der anderen Seite gibt es kaum jemanden, der Magermilch wirklich gerne trinken mag, und fettarmer Camembert ist nun einmal weniger begehrt als der etwas fettreichere.

In einer amerikanischen Fachzeitschrift über Eiscreme war folgender Satz zu lesen: "Die Beziehung zwischen der menschlichen Zunge, der menschlichen Psyche und dem Milchfett ist nicht sonderlich kompliziert: Die ersten beiden lieben das Dritte." Wenn Sie auch die etwas fettere Leberwurst der mageren vorziehen, passt dies in dasselbe Bild. Dies soll kein Plädoyer für grundsätzlich fettreiche Ernährung sein. Die ernährungsphysiologisch beste Kost ist immer noch die, die aus möglichst vielen verschiedenen Komponenten zusammengesetzt ist. Es gibt in Nahrungsmitteln außer Fremdstoffen keine gesunden oder gefährlichen Bestandteile, es gibt nur gesunde oder gefährliche Nahrungsgewohnheiten. Zurück aber zum Fett in der täglichen Nahrung. Hier ist es doch hauptsächlich die Angst vor dem Cholesterin, die uns das Fett reduzieren lässt. Warum nun ist der durchschnittliche Cholesterinwert der Deutschen höher als jener der Amerikaner - und doch rangiert Deutschland bei der Infarkthäufigkeit hinter den USA? Wer alles, was in den letzten Jahren zu Cholesterin geschrieben und gesagt worden ist, zur Kenntnis genommen hat, kann nur ein Bild gewonnen haben: Es wimmelt von Widersprüchen. Die CMA hat es unlängst so formuliert: Es sieht ganz danach aus, als liege der erstaunliche Fall einer von Medizin-, Lebensmittelindustrie und Gesundheitsministerium im großen Stil betriebenen Bewusstseins- und Verhaltensmanipulation vor, die auf einer wackeligen Hypothese beruht. Denn empirisch ist ein Zusammenhang zwischen Cholesterinspiegel und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis heute, außer bei genetisch bedingten Stoffwechselstörungen, nicht bewiesen. Der Kardiologe Harald Klepzig von der Deutschen Herzstiftung in Frankfurt hat auf einem Kongress mit dem bezeichnenden Titel "Konsens oder Nonsens" gesagt: "Wir wären glücklich, wenn eine einzige medizinisch kontrollierte Untersuchung vorgelegt werden könnte, die zeigen würde, dass Menschenleben durch die Senkung von Cholesterin gerettet werden."

Die Diskussion über das Cholesterin hat alle anderen Risikofaktoren für Herzinfarkt überdeckt: Rauchen, Kaffeegenuss, Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, Stress, Bewegungsmangel, Vererbung, psychische Probleme, Lebensmittelzusätze usw.

Es darf auch nicht übersehen werden, dass Cholesterin schließlich konkrete Aufgaben im Körper hat: Es stabilisiert die Zellmenbranen, schützt Haut und Nerven, unterstützt Fettverdauung, Gehirnwachstum und lmmunsystem und ist der Grundstoff der meisten Sexual- und Stresshormone.

Klaus Ragotzky von der Hamburger Unilever-Tochter Union Deutsche Lebensmittelwerke hat es bemerkenswert offen erklärt: "Vor gut 20 Jahren gab es bei uns ein Brainstorming. Die Frage war, in welchen Märkten wir uns tummeln könnten. Als potentielle Kandidaten traten Seniorenprodukte und fettreduzierte Nahrungsmittel gegeneinander an; siegreich war ‚Du darfst‘." Der Geo-Reporter Rainer Klingholz hat es auf den Punkt gebracht: " ,Du darfst‘ ist eine grandiose Erfindung, das Sattwerden teurer zu machen."