Nr. 30 vom 29. Juli 1995

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Unter der Federführung des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei ist jüngst ein Bericht zur Situation der Lebensbedingungen der Menschen in ländlichen Regionen Schleswig-Holsteins veröffentlicht worden. Das Presseecho auf diesen Bericht wird mancher Landwirt so zusammengefasst haben: jetzt sind wir endgültig abgemeldet!

Und nicht nur in den Pressemitteilungen, nein auch im Bericht selbst wird ein Bild zur wirtschaftlichen Bedeutung der Landwirtschaft gezeichnet, das offensichtlich darauf angelegt ist, die Rolle der Landwirtschaft im Lande herunterzuspielen. So heißt es im Bericht unter anderem: "Die Landwirtschaft ist schon seit längerem nicht mehr der dominierende Wirtschaftsfaktor in den ländlichen Räumen."

Hier handelt es sich um ein Bild mit drei groben Fehlern:

1. Im mehr als zweihundertseitigen Bericht nur dürftig und im Presseecho überhaupt nicht erwähnt ist die Rolle der Landwirtschaft als Erhalter der Kulturlandschaft. Hier dominiert die Landwirtschaft nicht nur, nein, sie bestimmt das Bild fast völlig allein. Wie sähen die Lebensbedingungen im ländlichen Raum wohl aus, wenn es diesen Beitrag der Landwirtschaft nicht gäbe?

2. Der zweite Fehler ist die einseitige Betrachtung nur der Landwirtschaft im engeren Sinne. Dabei wird übersehen, dass neben dem rein landwirtschaftlichen Umsatz in Höhe von 4 Mrd. DM die Ernährungswirtschaft weitere 11 Mrd. DM umsetzt. Fast jede vierte Mark des gesamten Industrieumsatzes unseres Landes wird in der Ernährungswirtschaft umgesetzt, rechnet man Landwirtschaft und Ernährungsgewerbe zusammen, ist es fast jede dritte Mark. Es ist zwar richtig, dass die Landwirtschaft in ihren wirtschaftlichen Anteilen zurückgegangen ist, und dies ist auch zu beklagen, aber an der Tatsache, dass Schleswig-Holstein ein Agrarland ist, ändert es nicht viel.

3. Der größte Fehler allerdings besteht darin, dass zumindest in der Pressedarstellung allzu einseitig mit Landesdurchschnittswerten gearbeitet wird. Wenn ein Jäger an einem Hasen zunächst zwei Meter links und dann zwei Meter rechts vorbeischießt, hat er ihn zwar im statistischen Durchschnitt getroffen, in Wirklichkeit aber hat er vorbeigeschossen. So ist auch ein Landesdurchschnittswert für den Stellenwert der Landwirtschaft in dünnbesiedelten ländlichen Räumen ohne Aussagekraft. In dünnbesiedelten Räumen hat die Landwirtschaft tatsächlich eine dominierende Stellung, die allerdings auf Grund eines Missverständnisses von vielen nicht klar genug gesehen wird. - Nehmen wir das Beispiel Stapelholm: 15 % des dortigen Einkommens ist das Einkommen der Landwirte, 50 % entfallen auf die Pendler und die restlichen 35 % auf Rentner und auf diejenigen, die den Landwirten und Pendlern dienen. Wer hier den Stellenwert der Landwirtschaft mit 15 % ansetzt, wird gleich auf dreifache Weise Opfer eines Missverständnisses. Zunächst lässt er den auf die Landwirte entfallenden Anteil der 35 %-Gruppe außer acht. Dann lässt er außer acht, dass Pendler eine Neigung haben werden, ihr Geld zu großen Teilen dort auszugeben, wo sie arbeiten, während die Landwirte eher den kürzeren Weg, zur Einkaufsmöglichkeit wählen werden. Das größte Missverständnis besteht hier allerdings darin, das Einkommen zum Maßstab für den Stellenwert zu machen, während bei den Pendlern "Umsatz" gleich Einkommen ist. Schaut man allerdings in der Landwirtschaft auf die gesamte bewegte Geldmenge, ist der Umsatz das Fünffache des Einkommens, womit deutlich wird, dass in derart dünnbesiedelten Räumen die Landwirtschaft wirklich die dominierende Rolle auch in rein wirtschaftlicher Hinsicht einnimmt.

Nach allem bleibt eigentlich nur die Frage, welche Motivation dahintersteckt, die Rolle der Landwirtschaft so dermaßen herunterzuspielen.