Nr. 39 vom 30. September 1995

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Rund 75 Prozent aller heute zugelassenen Pflanzenschutzpräparate werden von Toxikologen als ungiftig eingestuft. Nun kann man über das Wort "ungiftig" lange diskutieren.

Nehmen wir das Beispiel des Kochsalzes. Es ist lebenswichtig zur Aufrechterhaltung des Natriumhaushalts in unserem Körper. Wir nehmen im Durchschnitt täglich rund 5 g Natriumchlorid zu uns. Bei einem Körpergewicht von 50 kg bedeutet die aufgenommene Menge eine Dosis von 0,1 g pro kg Körpergewicht. Die niedrigste tödliche Dosis, über die in der wissenschaftlichen Literatur berichtet wird, liegt bei etwa 0,5 g pro kg Körpergewicht. Mit anderen Worten: Zwei Esslöffel Salz auf einen Streich eingenommen, können bei besonders empfindlichen Menschen als tödliches Gift wirken.

"Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift - nur die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist." Das sind die Worte des berühmten Schweizer Naturforschers, Arztes und Philosophen Paracelsus, der von 1493 bis 1541 lebte.

Das Wort ungiftig ist also ein relativer Begriff, und nur aus einem Vergleich mit früheren Zeiten wird deutlich, wie es um die heutige toxikologische Situation der Wirkstoffe des Pflanzenschutzes steht. Gehen wir also einige Jahrzehnte zurück. Heute gelten 75 Prozent als ungiftig und weniger als zehn Prozent als hochgiftig. Nach derselben Definition waren noch vor 30 Jahren rund 40 Prozent aller Mittel hochgiftig.

In unserer Gesellschaft besteht nun das Problem, dass sich irgendwann ein bestimmtes schlechtes Image des chemischen Pflanzenschutzes herausgebildet hat, das von interessierter Seite, hier sind nicht zuletzt die Sensationsmedien zu nennen, geschürt und gepäppelt worden ist. Das Image war auch vor 30 Jahren schon übertrieben, hat aber jetzt, weil es an die laufende Entwicklung nicht angepasst worden ist, mit der Wahrheit fast nichts mehr zu tun. Die Menschen wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei den Wirkstoffen des Pflanzenschutzes um eine Gruppe der chemisch verschiedensten Substanzen handelt, die letztlich nur eines gemeinsam haben, nämlich eine Zulassung nach unserem Pflanzenschutzgesetz. Die Menschen wollen diese einfachen Gedanken nicht akzeptieren, sie brauchen es noch einfacher, vernebeln damit die Wahrheit, und der Gesetzgeber fördert diese Vernebelungsaktion. Gemeint ist im Hinblick auf den Gesetzgeber besonders der für alle Pflanzenwirkstoffe einheitliche Trinkwassergrenzwert. Dieser Trinkwassergrenzwert wäre nur dann vertretbar, wenn die Wirkstoffe des Pflanzenschutzes eine Gruppe von Stoffen wären, die im Grundsatz gefährlicher wären als alle übrigen Stoffe. So ist es aber nicht wirklich. Es ist geradezu grotesk, dass bei uns im Trinkwasser 400mal mehr Arsen sein darf als von den ungefährlichsten Pflanzenschutzwirkstoffen. Ebenso grotesk ist es, für Pflanzenwirkstoffe, die sich untereinander in ihrer Gefährlichkeit mit dem Faktor von mehr als 1 : 100 000 unterscheiden, einen einheitlichen Grenzwert anzulegen.

Hier kann man dem Gesetzgeber einen Tipp geben: Entschließt euch zu differenzierten Trinkwassergrenzwerten in Abhängigkeit von der Gefährlichkeit des jeweiligen Stoffes, und Ihr werdet der Industrie zusätzliche Anreize verschaffen, den bestehenden Trend zu immer ungefährlicheren Stoffen noch zu beschleunigen. Irgendwann, in absehbarer Zeit wird es nämlich Wirkstoffe geben, die ungefährlicher sind als die heutigen und von denen womöglich nur noch 1 g oder weniger pro ha ausgebracht werden müssen; Dosierungen von 10 g oder weniger pro ha gibt es schon heute. Und dabei handelt es sich teilweise um Substanzen, die bei täglicher Aufnahme durch den Menschen erst im mehrstelligen Grammbereich als giftig anzusehen sind.