Nr. 8 vom 24. Februar 1996

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Vor dreißig Jahren waren rund 40 Prozent aller Pflanzenschutzmittel hochgiftig. Heute sind es weniger als 10 Prozent, und 75 Prozent gehören keiner Giftklasse an. Dies wird von den meisten Menschen im Lande nicht zur Kenntnis genommen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Aufwandmengen an Pflanzenschutzmitteln in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen sind.

Den Rückgang der Aufwandmengen hat jetzt jedenfalls der NABU zur Kenntnis genommen, wie einem Schreiben seines Hamburger Landesverbandes zu entnehmen ist. Es heißt dort, es treffe zwar zu, dass die Menge an ausgebrachten Pestiziden gesunken sei; dennoch wirkten diese sich natürlich schädlich auf die Umwelt bzw. auf bestimmte Organismengruppen aus, denn dazu würden sie ja schließlich eingesetzt. Die erste Hälfte dieser Aussage ist erfreulich, die zweite Hälfte ist interessant und vermittelt Zugang zum Verständnis eines weit verbreiteten Problems.

Pflanzenschutzmittel, so wird gefolgert, sind gefährlich, da es ihre Aufgabe ist, Lebewesen zu töten oder an einer Verbreitung zu hindern. Nun sind aber die Pflanzenschutzmittel bei weitem nicht die einzigen Stoffe, deren Aufgabe es ist, Lebewesen zu töten oder sie an ihrer Verbreitung zu hindern. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, den Pflanzenschutzmitteln von vornherein eine Sonderrolle unter allen Bioziden-Stoffen zuzuweisen.

Fast alle Reinigungsmittel haben dieselbe Aufgabe, und unter den Reinigungsmitteln finden sich etliche, die für den Menschen so gefährlich sind, dass sie als Pflanzenschutzmittel nicht zugelassen würden. Unendlich viele Stoffe mit derselben Aufgabe gibt es auch im Bereich der Medikamente, und bei weitem nicht nur die Antibiotika im engeren Sinne, sondern auch zum Beispiel milde, als harmlos geltende Stoffe, die wir im Bereich der Pflanzenschutzmittel als Fungizide bezeichnen. Wenn sie Medikamente sind, schmieren wir sie mehr oder weniger bedenkenlos auf die Haut; wenn sie Fungizide sind, unterliegen sie so strengen Bestimmungen, wie es sie für andere Stoffe nicht gibt.

Auch Kochsalz, das in seiner akuten Toxizität so manches Pflanzenschutzmittel übertrifft, hat, wenn wir es zur Konservierung von Lebensmitteln einsetzen, die Aufgabe, Lebewesen zu töten oder sie in ihrer Verbreitung zu hindern. In letzter Konsequenz gilt das auch für das Kochsalzbad, in dem die Gummisauger für unsere Babys keimfrei gemacht werden, sozusagen der erste Kontakt des Menschen mit Bioziden. Es gibt Menschen, die bei der Blattlausbekämpfung auf "Pestizide" verzichten und statt dessen Spülmittellösungen einsetzen. Unsere Wasserwerke benutzen eine breite Palette von Chemikalien zur Desinfektion des Wassers. Dazu gehört zum Beispiel das Chloroform, das in Deutschland seit 1974 als Pflanzenschutzmittel vorsorglich vollständig verboten ist, das sich aber zum Beispiel im Großraum Sigmaringen 1994 bei 13,6 Prozent der untersuchten Trinkwasserproben mit Gehalten von mehr als 10 Mikrogramm pro Liter fand. Befunde bis zu 25 Mikrogramm pro Liter sind zulässig, also das Zweihundertfünfzigfache des Trinkwassergrenzwerts für Pflanzenschutzmittel. So kommt denn auch M. Häfner von der Landesanstalt für Pflanzenschutz in Stuttgart zu der Schlussfolgerung. Der Hauptverursacher der organischen Schadstofffracht im Grund-, Roh- und Trinkwasser ist nicht die Landwirtschaft, sondern sind die Wasserwerke selbst.