Nr. 10 vom 09. März 1996

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Wie finden Sie dieses Bild, auf dem ein kleiner hessischer Bauernsohn zwei Ferkel trägt? Wer schon einmal vor der Aufgabe stand, ein Ferkel fangen zu müssen, hat schnell erfasst, dass man nach einem der Hinterbeine greifen muss. Und beim Transport in die Nachbarbox hat er es dann auch am Hinterbein getragen. Unser kleiner Junge lernte dieses sehr früh.

Der Fotoverband und Vertreter der größten Fotofirmen haben das Bild beim bundesweiten Fotowettbewerb "Blende 95" zum Siegerfoto auserkoren. Unter den Fotofachleuten soll die Entscheidung unumstritten gewesen sein.

Als das Siegerfoto dann in der "Frankfurter Rundschau" veröffentlicht wurde, brach jedoch über diese Zeitung ein Sturm von Leserbriefen herein. Einige Aussagen aus diesen Leserbriefen seien hier zunächst unkommentiert wiedergegeben:

"Die ausgewählte Aufnahme verdeutlicht, wie kaum besser darzustellen, Missachtung und Willkür im Umgang mit Lebewesen." Das Bild wird als abstoßendes Foto bezeichnet, das nur ein verrohter und gedankenloser Betrachter witzig finden könne. Eine Leserbriefschreiberin schreibt sogar, die "Babytiere hätten mit Sicherheit eine Vorahnung auf ihr programmiertes Ende erhalten - in gleicher Körperhaltung am Schlachterhaken hängend."

Ein trauriges Foto nennt es eine andere Leserbriefschreiberin und formuliert wörtlich so: "Ein Kind, mit blauem Kittel und Gummistiefeln als kleiner Metzger gekleidet, schleppt zwei Ferkel mit sich herum." Ob die Tiere tot oder lebendig seien, sei nicht so genau zu erkennen, so die Leserbriefschreiberin.

Ob der Bub sie zum Spielen herumtrage oder ob er sie gerade zum Schlachten bringe, bleibe der Fantasie des Betrachters überlassen, war zu lesen. Und woanders hieß es, dieses Bild strahle lantente Gewalt und Grausamkeit aus.

Eine Leserbriefschreiberin formulierte: "Welche unfähige Jury hat das denn verbrochen - waren die alle betrunken?" In einem weiteren Leserbrief hieß es: "Im 69. Lebensjahr und weder Vegetariert noch aktiver Tierschützer, schäme ich mich der unverbesserlichen Gattung Mensch, Besserung offensichtlich nicht möglich."

Zu Wort meldete sich schließlich auch die hessische Landestierschutzbeauftragte und fragte, ob das Foto wohl auch so rühmlich behandelt worden wäre, wenn darauf statt der Deutschen häufigster "Fleischlieferant" Schwein der deutschen liebster "Begleiter" Hund an Pfoten oder Schwanz herumgeschleift worden wäre."

Man kann recht sicher sein, dass all diese Leserbriefschreiber noch niemals vor der Aufgabe standen, in einer Ferkelbox eines oder zwei der Tiere fangen zu müssen und in die Nachbarbox tragen zu müssen. Der Preisträger des Fotos hat gegenüber der Presse versichert, dass er eine ganz alltägliche Szene auf einem hessischen Bauernhof abgelichtet hat. Die Ferkel seien quicklebendig gewesen. Wer selbst einmal mit Ferkeln zu tun hatte, wird ihm dies sicherlich gerne bestätigen. Sicherlich gibt es auch noch den einen oder anderen weiteren Kunstgriff, Ferkel zu fangen und von einer Stelle zur anderen zu tragen; ohne quieken wird es in keinem Falle ausgehen und die Frage, welche Vorgehensweise für das Tier am angenehmsten ist, dürfte offen sein. Die Leserbriefflut aber kann nur als Beleg für den großen Abstand vieler Menschen zur praktischen Landwirtschaft angesehen werden.