Nr. 11 vom 16. März. 1996

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Wenn über die Ernährung der Menschen unserer Erde gesprochen wird, finden häufig auch die europäischen Futtermittelimporte aus der Dritten Welt Erwähnung. Sie werden von manchem als Entwicklungshemmnis für die armen Länder der Dritten Welt angesehen und als Übel gebrandmarkt.

Ein Übel waren sie unstrittig agrarpolitisch für Europa. Als man das vereinigte Europa schuf, gab es die großen Mengen an Importfuttermitteln späterer Jahre noch nicht, und so sah man auch keine Veranlassung, Importfuttermittel in die Marktordnungen aufzunehmen. Dies sollte sich als schwerwiegender Geburtsfehler der Europäischen Gemeinschaft erweisen. Die importierten Futtermittel schufen ein Überschussproblem, das ansonsten nicht bestanden hätte. Es wurde in den letzten 20 Jahren fast immer mehr Futter nach Europa importiert als Getreide exportiert.

War es nun tatsächlich auch ein Übel für die Dritte Welt? Werden durch Futtermittelerzeugung arme Länder an der Entwicklung ihrer Landwirtschaft zur Deckung des eigenen Nahrungsbedarfs gehindert, dadurch Hungersituationen geschaffen und schließlich die Entwicklung des Landes dadurch behindert?

24 % aller 1994 in die EU importierten Futtermittel stammten aus den USA, auf der Wohlstandskala unter 187 Ländern unmittelbar hinter Deutschland auf Platz 11. Nimmt man die Mengen aus Brasilien hinzu, nach dem Bruttosozialprodukt auf Platz 59 und damit noch im oberen Drittel, sind es bereits 44 %. Der nächstgrößere Importeur in die EU ist Thailand, das mit einem Bruttosozialprodukt pro Kopf von 1570 $ im Vergleich mit uns zwar ein relativ armes Land ist, aber immerhin noch in der ersten Hälfte liegt, die wirklich armen Länder am Ende der Skala um das zehnfache übertrifft und keine Hungerprobleme hat. Der viertgrößte Importeur schließlich ist Argentinien, das mit Brasilien bezüglich Wohlstand gut vergleichbar ist. Diese vier größten zusammen versorgen uns mit 70 % unserer Importfuttermittel.

Für 70 % stimmt also die These von den armen Hungerländern und dem Entwicklungshemmnis offensichtlich nicht. Es gibt 94 Länder, die ärmer sind als Thailand und mit den ersten 70 % unserer Importfuttermittel nichts zu tun haben. An den nächsten 20 % sind von diesen Ländern auch nur sechs Länder beteiligt neben 13 anderen aus der ersten Hälfte der Wohlstandsskala. Diese sechs Länder sind Indonesien, die Volksrepublik China, Pakistan, Indien, Peru und die Philippinen. Betrachten wir sie einzeln:

Indonesien belieferte uns 1994 mit 1,6 Mio. Tonnen, 10 kg pro Kopf der indonesischen Bevölkerung. In den ärmsten Ländern der Welt ist die Armut vier bis sechsmal so groß wie in Indonesien. Ein Hungerland ist auch Indonesien nicht.

Die philippinischen Koprakuchen und das peruanische Fischmehl werden diesen Ländern ökonomisch im Zweifel mehr Vorteile als Nachteile bringen und die Importe aus China und Indien bedeuten dort pro Kopf der Bevölkerung gerade ein Kilogramm pro Jahr. Ökonomisch macht das diese beiden Länder nicht reich, in Bezug auf Ernährungsprobleme ist es allerdings auch nur ein "peanut".

Bleibt Pakistan mit seinen nicht unerheblichen Melasseexporten in der Größenordnung von einer Mio. Tonnen. Wie man es auch dreht, es wäre eine unzulässige Verallgemeinerung, das Pakistan-Problem zu einem Problem "der" Dritten Welt zu erheben. Vergessen werden darf dabei auch nicht, dass ein Melasseexporteur als Hauptprodukt Zucker erzeugt. Die Melasse ist auf jeden Fall nur Viehfutter oder Rohstoff für die Erzeugung von Alkohol. Mit eventuellen Ernährungsproblemen der Erzeugerländern hat die Melasse also wenig zu tun. Vielleicht hat es der Zuckerexport, das aber ist kein Problem der Futtermittelexporte.

Für den afrikanischen Kontinent, auf dem die Not und der Hunger am größten sind, stellen die exportierten Futtermittel eine so geringe Menge dar, dass es sich wirklich nicht lohnt, darüber zu reden. Erwähnenswert sind ohnehin nur Senegal und Sudan, alle übrigen afrikanischen Länder tauchen in den üblichen Statistiken als Futtermittelexporteure überhaupt nicht auf. Bezogen auf jeden Senegalesen sind es jährlich 18 kg und auf jeden Sudanesen 5 kg. Dabei muss man auch bedenken, dass Senegal überhaupt nicht zu dem ärmsten Drittel der Länder gehört und der Sudan wie Pakistan nur als Melassexporteur besonders hervortritt. Die Länder Afrikas insgesamt sind im großen Stil Getreideimporteure und nur sehr bescheidene Futtermittelexporteure.

Das große Entwicklungshemmnis scheinen die Futtermittelimporte Europas, also nicht zu sein, bleiben die agrarpolitischen Probleme und die These, wonach ökologische Vernunft auch meist die Vernunft der kurzen Wege ist. Das aber ist ein anderes Thema, das beim Nahrungstransport mit Flugzeugen (z. B. Weintrauben aus Südafrika) die größten Blüten treibt.