Nr. 17 vom 27. April 1996

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Was kann man denn eigentlich noch essen? Diese fatalistische Frage wird heute von vielen Menschen gestellt. Den Fisch hatten die Medien unseren Verbrauchern vor einiger Zeit buchstäblich madig gemacht. Zucker enthält angeblich nur tote Kalorien, wobei noch niemand eine Antwort auf die Frage geben konnte, was denn lebendige Kalorien sein sollen.

Viele Menschen verzichten heute auf den Genuss von Rindfleisch, obgleich es in Deutschland BSE gar nicht gibt und außerdem im schieren Fleisch selbst bei kranken Tieren bisher keine Erreger der Krankheit gefunden wurden.

So gerät ein Nahrungsmittel nach dem anderen auf die Anklagebank, ein Vorgang, der sich wirklich nur in einer Überflussgesellschaft so vollziehen kann, wie es bei uns der Fall ist. Es gibt allerdings dann in derselben Presse, die an den Anklageschriften verdient, auch Freisprüche; an den Freisprüchen wird selbstverständlich wieder verdient. Freigesprochen wurde nach Pressemitteilungen der letzten Wochen das Frühstücksei. Bis zum Anfang der 70er Jahre hatte das Hühnerei als vorzügliches Nahrungsmittel gegolten. Dann jedoch geriet es in einen schlimmen Verdacht. Ernährungsspezialisten sagten den Menschen, sie dürften ihrem Körper keinesfalls mehr als insgesamt 300 mg Cholesterin täglich zuführen, ansonsten würden sie Arterienverengung, Herzinfarkt und Schlaganfall Vorschub leisten. Ein einziges Hühnerei jedoch enthält schon 200 mg Cholesterin. Die Folge: Viele Menschen aßen weniger oder gar keine Eier mehr.

Nun erfahren wir aus Zeitungen von Forschungsergebnissen, die Anlass zu der Vermutung geben, dass das Cholesterin, das in einigen Nahrungsmitteln vorhanden ist, den Cholesterinspiegel im Blut bei den meisten Menschen nur unwesentlich erhöht.

Die menschliche Leber selbst produziert Cholesterin, das der Körper braucht, um Hormone, wie Oestrogene oder Testosterone, Vitamin D und andere wichtige Substanzen herzustellen. Andererseits kann der Organismus sich offenbar auf ein Übermaß an Cholesterin in der Nahrung einstellen: Der Dünndarm nimmt dann weniger von dieser Substanz auf, die Leber schränkt ihre Produktion ein.

Die Ernährungswissenschaftler gehen heute davon aus, dass die meisten Menschen unempfindlich für Cholesterin in der Nahrung sind. Diese Menschen müssen die Cholesterinzufuhr nicht einschränken. Dem Rest empfehlen heute die Ernährungsspezialisten, mit ihrem Hausarzt zusammen einen individuellen Ernährungsplan auszuarbeiten.

Zum Hühnerei heißt es inzwischen selbst in einer offiziellen Richtlinie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika: "Für ältere Menschen ist der gesundheitliche Nutzen von Hühnereiern wahrscheinlich größer als das Risiko, das mit einem leicht erhöhten Cholesterinspiegel verbunden ist. Nichts in einem Ei wird verschwendet. Ein Hühnerei ist Nahrung pur."

So wird ein Nahrungsmittel nach dem anderen angeklagt und auch wieder freigesprochen. Die Moral von der Geschicht´: Leben wir doch nach dem alten Grundsatz, wonach man von allem etwas isst; Fachleute nennen das die ausgewogene Ernährungsweise.