Nr. 6 vom 8. Februar 1997

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Um das Wort Allergie ranken sich die Missverständnisse nur so. Das fängt damit an, dass den allermeisten Menschen der Unterschied zwischen allgemeinen Empfindlichkeiten und speziell allergischen Reaktionen nicht geläufig ist. Das Wort Allergie muss häufig dann herhalten, wenn Angst vor Risiken verbreitet wird und es den Verbreitern nicht möglich ist, die Risiken näher zu beschreiben. Da Angst ohnehin in der Ungewissheit besser blüht als in der Gewissheit, führt dieses Verfahren dann auch meist zum gewünschten Erfolg.

Besonders gerne werden die typischen Umstände unserer Industriegesellschaft mit der Ausbreitung von Allergien in Verbindung gebracht. Da wundert es niemand, wenn auch die Pflanzenschutzmittel - weil "Chemie" - für Allergien immer wieder verantwortlich gemacht werden und die Produkte aus gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln sozusagen prophylaktisch und auf Verdacht vorweg. Bei der Gentechnik läuft das Stichwort Paranussallergie um, ohne dass es dafür auch nur den geringsten sachlichen Grund gibt. Und die Pflanzenschutzmittel gehören zu einer Gruppe von Substanzen, die in jahrelangen Tests so gründlich auf ihr allergenes Potential untersucht werden, dass die Allergiediskussion um diese Stoffe wirklich nicht zu verstehen ist.

Was haben diejenigen, die diese Diskussion immer wieder anheizen, eigentlich davon? Spekulieren wir darüber nicht lange, es wird hier die unterschiedlichsten Gründe geben; und es ist anzunehmen, dass die meisten derer, die sich an dieser Diskussion beteiligen, selbst glauben, was sie sagen. Böser Wille dürfte also meist gar nicht das Motiv sein.

Jedenfalls muss es für diese Menschen ein schwerer Rückschlag gewesen sein, als bald nach der Wiedervereinigung die Ergebnisse vergleichender Untersuchungen über allergische Erkrankungen bei Kindern in den neuen und den alten Bundesländern bekannt wurden. Man hätte erwarten können, dass es in den neuen Bundesländern sehr viel schlimmer aussah; war man dort doch zu DDR-Zeiten mit Chemikalien weit sorgloser umgegangen als bei uns, "Bitterfeld" oder "Pflanzenschutz mit Flugzeugen" seien hier nur als Stichworte genannt.

Das genaue Gegenteil fanden die Forscher heraus. Der Anteil allergiekranker Kinder erwies sich im Westen als fast doppelt so hoch wie im Osten. Die Forscher konnten sich dies zunächst nicht abschließend erklären. Aber mit ihren Erklärungsansätzen dürften sie auf Anhieb nicht so schlecht gelegen haben. Sie tippten auf die DDR-typischen Kinderkrippen, die dazu geführt hatten , dass dort die Kinder sich früher, häufiger und heftiger mit Infektionen auseinandersetzen mussten. Als Laie könnte man von einem Training der Immunsysteme sprechen.

Inzwischen bieten vor allem japanische und amerikanische Forscher entsprechende Erklärungen dafür an, dass Allergien und Asthma sich in den Industrieländern stärker ausbreiten als in den Ländern der Dritten Welt. Besonders gründlich untersucht wurde dies in einer japanischen Studie, bei der man 867 Schulkinder, die mit einem Impfstoff aus abgeschwächten Lebendbakterien gegen Tuberkulose geimpft wurden, mit ihren Altersgenossen verglich. Die geimpften Kinder hatten eine wesentlich niedrigere Rate an Asthma und Allergien. Die Forscher erklärten sich dies so, dass diese Kinder auf Grund des Kontaktes mit den Tuberkulosebakterien einen bestimmten Typ von Immunzellen aktivierten und niedrigere Werte von Immunglobulin E (IgE) aufwiesen, ein Stoff , der bei der Reaktion auf allergische Reizstoffe wie Pflanzenpollen eine wichtige Rolle spielt.

Unter der Überschrift "Allergie und Asthma durch einen Mangel an Infektionen" gingen diese Befunde durch die Weltpresse.