Nr. 11 vom 15. März 1997

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Es geschieht durchaus nicht selten, dass Sensationsmeldungen von den veröffentlichenden Journalisten ohne wirklichen Hintergrund "gemacht" werden. Dabei handelt es sich durchaus nicht immer um reine Phantasieprodukte. Es gibt da heute sehr raffinierte Verfahren, wie man zunächst nach einem kleinen wahren Kern sucht und dann die Geschichte als Rahmen dazu erfindet.

In seinem Buch "Ökooptimismus" beschreibt Dirk Maxeiner ein solches Verfahren und ein Anwendungsbeispiel dazu: Es geht um das sogenannte Datadredging. Dies ist ein stures Durchforsten von gewaltigen Datenmengen mit Hilfe der billigen Computerkapazität nach bestimmten Häufungen oder Zusammenhängen. Das können auch zufällige Häufungen sein, denn je größer die Datenmengen sind , umso größer wird auch die Wahrscheinlichkeit , etwas Aufregendes mit reiner Zufallsverursachung zu finden.

Vergessen wir doch nicht, dass fast jeder Einzelfall vom Durchschnitt abweicht, und bei statistischer Normalverteilung stets die Hälfte über dem Durchschnitt liegt. Welchen Risikofaktor man auch meint, die Hälfte aller Menschen hat ihn in überdurchschnittlicher Weise. In den großen Datenstöcken unserer Zeit braucht man also nur die Fälle zu suchen, in denen die Abweichung vom "Normalfall" besonders groß ist.

Diese Art der Datendurchforstung stellt das Ziel auf den Kopf. Sie findet Daten, um die sie eine Theorie herumzubauen versucht. Sie sucht nach "Einschusslöchern", die noch keine Ränder haben, umrandet sie und verkündet dann: Getroffen!

Maxeiner schildert dazu folgendes Beispiel:

1972 erschien in dem US-Blatt "Tediatrics" ein Artikel, der erstmals einen Zusammenhang zwischen genetischer Veranlagung und plötzlichem Kindstod herstellte. Ein gehäuftes Auftreten von fünf plötzlichen Kindstodfällen innerhalb einer Familie, die im Staat New York lebte, ließ ein genetisch bedingtes Syndrom vermuten.

Familien, in denen irgendwann einmal ein Kind früh verstorben war, wurden durch diesen Artikel furchtbar verunsichert. Die Verunsicherung steigerte sich immer weiter, weil es, soweit kennen wir die Presse alle, nicht bei diesem einen Artikel blieb. Im Fachjargon nennt man es "abkochen", und das geschah selbstverständlich auch hier. Wurden in den genannten Familien weitere Kinder geboren, und sei es auch bei nahen oder gar entfernten Verwandten, befürchtete man, auch diese Kinder eines Morgens tot in ihrem Bett vorzufinden. In der Folge entstand eine ganze Industrie, die Eltern mit Ratschlägen und Kontrolleinrichtungen versorgte.

Inzwischen hat sich zumindest für die damalige Häufung von fünf toten Kindern in dieser einen Familie im Staat New York eine ebenso einfache wie furchtbare Erklärung ergeben:

Die Mutter hatte alle fünf Babys ermordet, wurde jedoch erst Jahre später dieser Taten überführt und am 13. September 1995 zu einer Haftstrafe von 75 Jahren verurteilt. Hier war also der Hintergrund nicht eine zufällige Häufung, sondern eine zunächst unbekannte Ursache; im Prinzip läuft es aber völlig auf das Gleiche hinaus. Das Datadredging hat wieder einmal funktioniert und sich für alle, die daran Geld verdient haben, gelohnt. An die Verunsicherung der betroffenen Familien wird meist nicht gedacht und auch nicht an die unnötigen Kosten.