Nr. 24 vom 14. Juni 1997

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Es passierte in einer Frankfurter Paketverteilungszentrale. Ein Päckchen wurde von einem Förderband leicht beschädigt. Solche Beschädigungen kommen häufiger vor. Kleine Löcher werden einfach zugeklebt; so war es auch hier. Leider rieselte etwas von dem weißen pulvrigen Inhalt unbemerkt auf die Förderanlage. Am nächsten Morgen kamen Putzfrauen und wollten ihres Amtes walten. Da geschah es: Die Reste der weißen Substanz, so sagten Beteiligte aus, reagierten und schäumten bei der Berührung mit Wasser.

Zwei Frauen, die die Dämpfe eingeatmet hatten, klagten prompt über Übelkeit, und schlagartig stellten sich bei zwei Postlern, die den Vorfall bemerkt hatten, Herzbeschwerden ein. Die Feuerwehr kam herbei. Die Polizei sperrte alles ab. Es erschienen Männer in raumfahrtähnlichen Schutzanzügen und nahmen Substanzproben. Schließlich beseitigten spezielle Entsorgungstrupps die geheimnisvollen Pulverreste als ultragefährlichen Sondermüll.

Im Hessischen Rundfunk, als Katastrophenverbreitungsmedium besonders bekannt und profiliert, beherrschte das Ereignis die Nachrichtenmeldungen des Tages. Die Oberpostdirektion ließ die Nachricht verbreiten, dass alle Beteiligten ärztlich untersucht wurden, aber nicht krank geschrieben werden mussten. In einer großen Frankfurter Zeitung war immerhin die beruhigende Meldung zu lesen, die Substanz sei nicht radioaktiv. Da der pH - Wert bei 11 liege, sei sie aber wohl stark alkalisch. Ein Blatt aus dem benachbarten Wiesbaden brachte hingegen die Meldung, dass die unheilvolle Masse nach Aussagen des Feuerwehreinsatzleiters sauer reagiere und schloss daraus messerscharf, dies könne auf eine Säure hindeuten.

Einen Tag später folgte die Auflösung des Rätsels. Es hatte sich um ganz normalen Gips gehandelt, wie er zum Modellieren von Figuren verwendet wird oder zum Stopfen von Löchern in Wänden. Gut, jeder kann sich einmal irren. Aber interessant bleiben doch die Begleitumstände, insbesondere die Übelkeitsanfälle und die Herzbeschwerden. Bemerkenswert waren auch die Aktivitäten der Medien, und die machten die Sache in den nächsten Tagen auf ihre Weise wieder "gut". Die Frankfurter Journalisten beriefen sich auf Pressesprecher der Post, die von Hysterie, Übersensibilisierung und Psychose gesprochen hatten. Letztlich klagten die Zeitungsleute also nach Bekanntwerden der gipsharten Tatsachen das an, woran sie sich selbst zwei Tage vorher noch beteiligt hatten.

Die Feuerwehr versuchte sich mit Erklärungen zu den "schweren Gesundheitsstörungen" und sprach von "Placebo - Effekten". Ein Polizeisprecher ging etwas härter ran und nannte das Verhalten bestimmter Leute "versuchtes Blaumachen". Wir könnten das Ganze als Einzelfall im Sinne einer Meldung aus Schilda abtun, wenn es ein Einzelfall wäre. Leider ist es das aber nicht. Fehleinschätzungen dieser Art sind inzwischen an der Tagesordnung, Der Diplomchemiker und Autor Heinz Hug bietet in seinem Buch "Der tägliche Ökohorror" eine ganze Sammlung davon. Hug spricht vom "morbus germanicus", der Deutschen Krankheit. Man kann seinem Buch nur eine weite Verbreitung wünschen, denn solche Bücher sind Medizin gegen "morbus germanicus".

Gegenwärtig haben wir bei Meldungen, wie der aus Frankfurt, noch die Stimmungslage: Es wird schon etwas dran sein, denn sonst würde die Meldung ja wohl nicht gedruckt werden. Das Negative wird geglaubt, und die Richtigstellung erscheint ohnehin nur kleingedruckt auf der letzten Seite. Neu und erfreulich ist, dass es solche Bücher, wie das von Hug, inzwischen überhaupt gibt.