Nr. 3 vom 17. Januar 1998

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Vor einem halben Jahr hatten wir uns an dieser Stelle mit dem Wachtelkönig befasst. Es ging damals darum, dass im Südwesten der Hansestadt Hamburg auf 150 ha 3.000 Sozialwohnungen entstehen sollten, Wohnraum für 10.000 Menschen. Hamburg platzt zwar aus allen Nähten, der dringend erforderliche Wohnraum aber wird noch länger auf seine Fertigstellung warten müssen. Und dies alles verhindert ein Vogel, den man vor Ort bisher lediglich nach dem Geräusch identifiziert hat, und dies noch nicht einmal in jedem Jahr. Ornithologen gehen in der Dämmerung ins Gelände und kratzen an den Zähnen eines Alu-Kamms. Das Geräusch soll die männlichen Wachtelkönige angeblich dazu veranlassen, zu antworten. Gesehen oder gar fotografiert hat noch keiner das Tier. Für seine ökologische Bedeutung für das gesamte Ökosystem lassen sich auch keine besonderen Argumente anführen. Auf die Frage, was sich ändern würde, wenn es dort nicht einmal Geräusche von ihm gäbe, müsste die Antwort wohl lauten: "Na und?" Sogar von Vertretern des NABU wird unverblümt zugegeben, dass der Wachtelkönig "nur der juristische Hebel" ist.

Der Wachtelkönig ist populär, und deshalb musste er herhalten, obgleich es durchaus fraglich ist, ob es ihn im Plangebiet überhaupt gab. Dies ist natürlich absolut unehrlich und scheint nach dem Motto "der Zweck heiligt die Mittel" abzulaufen. Im vorigen Juli hatten wir auf Grund entsprechender Informationen prognostiziert, dass auf den Wachtelkönig weitere Aufgaben zukommen würden. Das Phantom der Ökos sollte, wie damals zu erfahren war, nicht nur das Wohngebiet Neugraben-Fischbek verhindern, sondern auch die Autobahn A 26 von Hamburg nach Stade. Zwar soll deren Trasse nicht direkt durch das Reich des Königs führen. Doch ferner Autolärm könnte das sensible Tier verstören, fürchteten Ornithologen im vorigen Sommer.

Nun ist der Wachtelkönig auch im Bereich der neuen Trasse der Ostseeautobahn A 20 aufgetaucht. Mit einem Gutachten und einem Kostenaufwand von 100 000 DM wurde es nachgewiesen. Zunächst gab es eine "Vorkartierung durch Erfassung der balzrufenden Männchen mit Hilfe von Klangattrappen". Dann kam man zur Hauptkartierung, bei der die Gutachter "Rufergruppen" bildeten, die "Männchenabwanderung" erfassten und anschließend die "Anwesenheit von Weibchen und/oder Jungvögeln" feststellten. Auch eine "Rufphänologie" fertigten die Forscher, die schließlich über das "Verhören von Stimmfühlungslauten" Vorkommen mit Brutverdacht oder Brutnachweis erfassten.

Es wäre gar nicht auszudenken, was passieren würde, wenn aus Versehen einmal zwei Erkundungstrupps dieser Art gleichzeitig im selben Gebiet arbeiten sollten. Vermutlich würden sie sich dann gegenseitig orten und sich auch gegenseitig bestätigen, jeweils ein Massenvorkommen des Wachtelkönigs gefunden zu haben. Das könnte dann dazu führen, dass der scheue Vogel wegen Massenvorkommens seinen Schutzstatus verlieren würde. Aber, wie gesagt, daran wagt man ja gar nicht zu denken. Eines jedenfalls dürfte sich inzwischen als sicher herausgestellt haben: Sollte die Wiesenralle, wie sie auch genannt wird, einmal wirklich vom Aussterben bedroht sein, dürfte es genügen, an einigen geeigneten Stellen Planungen von Baugebieten oder Autobahnen zu veröffentlichen. Nach aller bisheriger Erfahrung pflegt der Vogel bei solchen Gelegenheiten wieder aufzutauchen.

Aber Spaß beiseite. Die ganze Geschichte hat mehrere sehr ernste Aspekte. Auf die Problematik unnötigerweise verhinderter wichtiger Objekte hatten wir bereits hingewiesen. Aber auch für den Naturschutz bergen die Schattenspiele um den Wachtelkönig ein schlimmes Risiko. Oder glauben Sie etwa, dass ein Wanderer, der alle fünf Minuten grundlos um Hilfe schreit, beim zehnten Mal noch irgendwelche Hilfe erhält, auch, wenn er sie dann dringend benötigt?