Nr. 45 vom 7. November 1998

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Der Biologe Stephen Jay Gould gilt unter den Evolutionsforschern als der Hohepriester des Zufalls. Von ihm stammt der Spruch, nirgends in der Natur gebe es Anzeichen für Fortschritt. Wörtlich soll er gesagt haben: "Die Bakterien sind uns Menschen überlegen." Gould ist befragt worden, ob die Gentechnologie das Ende der Darwinschen Evolution bedeute. Seine Antwort: "Nein. Für die Arten, bei denen wir uns entschieden haben, sie zu kontrollieren und zu verändern, mag das stimmen. Aber denken Sie nur an die 500 000 Käferarten auf der Erde. Die meisten dieser Arten werden wir nicht antasten."

Damit hat Gould ein verblüffend klares

Wort zur Rolle der Gentechnologie im Hinblick auf die Schöpfung gesprochen. Denn um eines kommt man bei naturwissenschaftlicher Betrachtung der Schöpfung nicht herum. Die heutige belebte Natur als Teil der Schöpfung stellt wissenschaftlich gesehen das Ergebnis, oder noch besser gesagt, den derzeitigen Zwischenstand der Evolution dar. Wandelt man die Worte Goulds um, ist die Bedeutung der Gentechnologie für die Schöpfung also gering. Es kommt hinzu, dass die Gentechnologie auf die unbelebte Natur, den Rest der Schöpfung, gar nicht unmittelbar einwirkt. Dies alles ist soweit richtig, wie man von unmittelbaren Wirkungen spricht. Es ist auch nur so lange richtig, wie man den Menschen und den vom Menschen jetzt gentechnologisch beeinflussten Tier- und Pflanzenarten keine Sonderrolle in der Schöpfung zuerkennt. Betrachten wir diese beiden Aspekte einzeln:

Zunächst in der Sonderrolle in der Schöpfung. Selbstverständlich sind wir geneigt, dem Menschen eine Sonderrolle in der Schöpfung zuzuerkennen. Selbst wenn dies nur mit unserer subjektiven Betrachtungsweise und unserem legitimen Anspruch, uns durchsetzen zu wollen, zu begründen ist, kommt man daran kaum vorbei. Damit behalten die dem Menschen dienenden Tier- und Pflanzenarten ebenfalls ihre Sonderstellung aus unserer subjektiven Sicht. Da diese Sicht subjektiv ist, wird es objektiv aus der Sicht der gesamten Natur aber anders zu bewerten sein, womit wir wieder bei Gould wären.

Bliebe der zweite Aspekt, der Unterschied zwischen den unmittelbaren Wirkungen und den mittelbaren Wirkungen der Gentechnologie für die gesamte belebte Natur. Wenn der Gentechnologie eine so große Bedeutung zukommt, wie die Agenda 21 ihr zumisst, gehört sie zu den wichtigen Voraussetzungen für die Überlebensmöglichkeit einer noch einmal sich verdoppelnder Bevölkerungszahl auf der Erde. Es spricht viel dafür, dass diese Einschätzung in der Agenda 21 zutreffend ist, nicht für jeden Punkt der Erde, aber für weite Bereiche.

Diese Verdoppelung der Bevölkerungszahl auf der Erde kann aber nicht ohne Wirkungen auf die gesamte belebte Natur bleiben. Damit wären wir wieder einmal an dem Punkt, bei dem wir bei der Gentechnologie schon so oft gelandet sind: Es gibt Folgen der Gentechnologie, die keineswegs einschlägige Folgen der Gentechnologie sind. Man kann sie auch anderweitig haben. Daran schließt sich die Frage an, ob es einen Unterschied gibt bei aus bestimmter Sicht

unerwünschten Folgen. Oder konkret und mit Vorwegnahme einer Antwort: Wenn durch die weitere zahlenmäßige Ausbreitung der Menschheit Tier- und Pflanzenarten in Bedrängnis geraten, kann es doch nicht unterschiedlich zu bewerten sein, ob dies eine mittelbare Folge der Gentechnologie oder beispielsweise der Fortschritte in der Medizin ist. Man könnte die Diskussion auch zuspitzen auf die Frage, ob der Zuwachs der Erdbevölkerung nicht mit rigorosen Methoden zu bremsen ist. Die 178 Staaten, die die Agenda 21 beschlossen haben, waren hier offenbar anderer Meinung. Ganze sieben der 300 Seiten des Weltdokuments befassen sich mit der Bevölkerungsdynamik, und ein klares Bekenntnis zur Geburtenkontrolle

finden wir nicht. Die Annahme einer nochmaligen Verdoppelung der Erdbevölkerung gehörte in Rio offen-sichtlich zur Lagebetrachtung und nicht zur Handlungsdiskussion.