Nr. 51/52 vom 19. Dezember 1998

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

"Warum schaffen und lieben wir Gärten, auch wenn sie uns wenig Nahrung liefern?" Diese Frage hat der Freiburger Biologe Prof. Dr. Hans Mohr in einem beachtenswerten Aufsatz aufgeworfen. Dabei ging es nicht um einen Fachaufsatz zur Gestaltung von Gärten, sondern um Grundfragen zur Abgrenzung zwischen den Begriffen Naturlandschaft und Kulturlandschaft. Ja, warum gibt es so viele Gärten? Haben Sie sich auch einmal Gedanken darüber gemacht, warum kaum jemand in seinem Garten nur Rasenflächen hat, oder nur Bäume, oder nur Büsche, oder nur Blumen. Es müsste doch eigentlich Menschen geben, die Blumen, Bäume, Büsche oder Rasenflächen so sehr lieben, dass sie ihren Garten nur damit anlegen. Aber nein, fast alle Gärten haben alle vier der genannten Gestaltungselemente.

Mohr begründet dies damit, dass wir eine tiefsitzende Neigung nach einer – wie er es nennt – freien, Auge und Gemüt beglückenden Szenerie haben, in der alle verschiedenen Gestaltungselemente vorkommen. Dies, so sagt er, würden die Ethologen damit erklären, dass wir genetisch an die Savanne mit ihren Baumgruppen, Buschgruppen und freien Wiesenflächen angepasst sind. Dort, in den ostafrikanischen Savannen, habe sich die Menschwerdung vollzogen. Von dort hätten die Hominiden ihren Marsch in die Welt angetreten, auch in die unwirtlichen Waldregionen der gemäßigten Breiten. Mohr zieht daraus folgende Schlussfolgerung: "Wir schaffen uns eine unserer Herkunft gemäße Umwelt, wo immer wir können, auch als Ausgleich zur urbanen Kultur. Die Sehnsucht des Städters nach dem Garten, nach dem Park, nach der offenen bäuerlichen Kulturlandschaft, ist biologisches Erbe, Teil unserer ersten Natur."

Wenn bei uns heute von Naturschutz die Rede ist, meint man in der Regel den Schutz der Kulturlandschaft, vor allem der bäuerlichen Kulturlandschaft mit ihren ästhetischen Qualitäten, und keineswegs die Restaurierung der ursprünglichen mitteleuropäischen Waldgesellschaften. Mohr sagt hierzu, Bewahrung der Eigenart, Vielfalt und Schönheit der Kulturlandschaft und Bewahrung des kulturellen Erbes sei eine ganz andere Zielsetzung als Erhaltung oder Restaurierung von Wildnis. Prof. Mohr folgert weiter: "Umweltschutz ist Kulturschutz! Bei den momentanen Disput um den richtigen Weg in die Zukunft kann es deshalb nicht um ein ,zurück zur Natur’ gehen, sondern um den Erhalt der ökologischen Grundlagen eines kultivierten menschlichen Lebens." Man könnte hinzufügen: Wäre es anders, wäre es objektiv richtig, den Weg zur Natur zurück zu wählen, müssten unsere Ziele

des Naturschutzes sich eben doch auf die ursprünglichen mitteleuropäischen Waldgesellschaften konzentrieren.

Es wäre gut, wenn alle, die gegenwärtig an der Naturschutzdiskussion beteiligt sind, sich einmal mit diesen Gedanken befassen wollten. Man muss ja nicht jeden Gedanken für sich selbst übernehmen, aber kennen sollte man sie. Und vielleicht sollte man auch sich selbst kritisch darauf überprüfen, ob die eigenen Vorstellungen von Naturschutz mit diesen Gedanken vereinbar sind. Ist es womöglich nur die aus der Zeit der Menschwerdung in Ostafrika genetisch bei uns verankerte Neigung, also eine subjektiv menschliche Angelegenheit, oder geht es um objektive Maßstäbe?

Ja, gibt es zu dieser Frage überhaupt objektive Maßstäbe? Am objektivsten, meint mancher, sei das, was man in Zahlen ausdrücken kann. So entsteht bei vielen die Neigung, Naturschutzziele an Artenzahlen aufzuhängen. Sollte womöglich das richtig sein, wäre der Weg zu den ursprünglichen mitteleuropäischen Waldgesellschaften auf jeden Fall der falsche, denn da war die Artenzahl nur halb so hoch wie in unserer heutigen Kulturlandschaft. Und die wiederum hat eine niedrigere Artenzahl als die Kulturlandschaft des vorigen Jahrhunderts. So

bleibt tatsächlich die Frage, ob es überhaupt objektive Ziele des Naturschutzes gibt. Selbst der Ressourcenschutz, so un-umgänglich er zu sein scheint, ist doch wohl eine subjektiv menschliche Angelegenheit.