Nr. 22 vom 5. Juni 1999

 

Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg

Autor Dr. agr. Hans Peter Stamp

Logisch?

Wir beklagen uns darüber, dass in der breiten Öffentlichkeit landwirtschaftliche Anliegen so schwer überzubringen sind. Einer der Sümpfe, aus dem die gegen die Landwirtschaft gerichteten Irrlehren immer wieder gezogen werden, ist der unerschöpfbar scheinende Vorrat an unwahren Behauptungen über Wirkungen. Es ist frustrierend, aber dennoch sollten wir nicht in Selbstmitleid verfallen; schließlich sind wir auch nicht die einzige Berufsgruppe, die darunter zu leiden hat. Schauen wir hierzu einmal über den Zaun zur Medizin; wobei wir, um nicht selbst auf fremdem Parkett auszurutschen, Auszüge aus einer Veröffentlichung des Wissenschaftsjournalisten Marco Evers, jüngst im SPIEGEL zu lesen, übernehmen:

"Im Fürstentum Wales sinnierte der Aussteiger und Arzt Edward Bach über das Wesen menschlichen Leids. Es war so um das Jahr 1930, Bach fühlte sich mit sich und der Natur im reinen, und da wusste er auf einmal, was der ewig kränkelnden Menschheit fehlt: Bach-Blüten, jenes Wunderzeug, das er im Begriff war zu erfinden. Krank, so erkannte Bach, werden Menschen durch genau 38 negative Seelenzustände wie Stolz, Hass, Habgier oder Unwissenheit. Dagegen gilt es vorzugehen: Man pflücke Blüten an wolkenlos - sonnigen Tagen vor neun Uhr morgens, weiche sie ein in Quellwasser, füge Brandy hinzu und verdünne das Ergebnis bis nahezu ins Unendliche. Bachs Wässerchen, käuflich in 40 Variationen, lindern oder heilen angeblich fast jedes Leid, ob akut oder chronisch. Selbst in Notfällen soll der Spezialmix ,RescueTropfen’ noch Wunder leisten. In Wahrheit sind Bachs Blüten so etwas wie die medizinische Entsprechung von Falschgeld. Wann immer Mediziner zwei Vergleichsgruppen bildeten, die eine mit Bach-Blüten und die andere mit einem Scheinmedikament behandelt, erwies sich das Bachblüten-Zeug als gänzlich unwirksam ... .

Die moderne Medizin ... hat ... eine stetig erstarkende Konkurrenz ... bekommen. Und obwohl die meisten Heiler medizinisch kaum qualifiziert sind, bringt ihnen eine Mehrheit der Deutschen laut Meinungsumfragen hohes Vertrauen entgegen. Rund 7000 Geistheiler, ungezählte Irisdiagnostiker und Bioresonanz-Therapeuten buhlen um Patienten. Wehwehchen lassen sich altindisch (Ayurveda) behandeln oder alt-chinesisch (TCM, Akupunktur), nach Hausmacherart ... oder mit Exotischem. Afrikanische Derwische beschwören Koma-Patienten, sibirische Schamanen tanzen gegen Depressionen.

Von Akupunktur abgesehen, die sich bei manchen Beschwerden als sinnvoll erwiesen hat, haben die Multikulti-Heiler medizinisch wenig aufzubieten. Aber ihre oft heißblütigen Verfechter geben den Kranken Zuwendung und Hoffnung - und auch das hilft: Ihre Erfolge beruhen auf dem Plazebo-Effekt, Glaube allein ist das Wirkprinzip der Alternativtherapeuten ... .

In vielen homöopathischen Dosierungen ist nicht ein einziges Molekül der Ausgangssubstanz

mehr enthalten. Das mache aber nichts, lehren die Vorkämpfer, denn die Substanz habe einen ,geistartigen Abdruck’ hinterlassen im Verdünnungsmittel ... . Auch die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer ist dem Drang nach ..., alternativer’ Medizin erlegen. In Kürze stellt ihr Ministerium die seit Jahren erwartete Positivliste vor. Sie soll die Zahl der Medikamente, die von den Krankenkassen bezahlt werden müssen, auf jene begrenzen, deren Wirksamkeit erwiesen ist. Auf dieser Liste der geprüften Arzneien hat die Grüne den Präparaten der Homöopathie, der anthroposophischen Medizin und der Phytotherapie einen Ehrenplatz zugewiesen: Sie sollen als wirksam gelten, obwohl ihnen bis heute jeder Wirksamkeitsnachweis fehlt."